• Prof. Dr. Dr. Christian Ulrichs vor der Tür des FishCubes des Projekts CUBES Circle, Brain City Berlin

    Tomaten und Fische im Zero-Waste-Kreislauf

Es geht um die Ernährung der Zukunft: Im Projekt CUBES Circle erforschen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Albrecht-Daniel-Thaer-Instituts für Agrar- und Gartenbauwissenschaften der Humboldt-Universität zu Berlin, wie etablierte Agrarproduktionssysteme miteinander verbunden werden können: intelligent, effizient und nachhaltig. Das Prinzip haben sie von der Natur abgeschaut, in der Abfälle ein wichtiger Teil des Ernährungskreislaufs sind. Brain City Botschafter Prof. Dr. Dr. Christian Ulrichs koordiniert das Verbundprojekt, in das weitere deutsche Hochschulen und Forschungseinrichtungen eingebunden sind.

Leuchtend rot, rund und saftig sind die Früchte. Ihre Schale ist fast makellos – und wie sie duften! „Vielleicht lehne ich mich ein wenig weit aus dem Fenster, aber unsere Tomaten sind vermutlich die besten Berlins“, freut sich Prof. Dr. Dr. Christian Ulrichs. „Das liegt daran, dass sie bei uns sehr nachhaltig und unter kontrollierten Bedingungen produziert werden. Dazu gehört auch, dass sie über lichtdurchlässige Folien UV-Licht erhalten. Tomatenpflanzen passen sich der Sonne an, indem sie geschmacksrelevante Farbstoffe aufbauen wie Lycopin.“

Wir befinden uns in der oberen Ebene des „CUBE“– dem mehrstöckigen Labor des Verbundprojekts „CUBES Circle“. 2024 wurde das Gebäude auf dem Gelände des Albrecht-Daniel-Thaer-Instituts für Agrar- und Gartenbauwissenschaften der HU Berlin, in Berlin-Dahlem in Betrieb genommen. Brain City Botschafter Prof. Dr. Dr. Christian Ulrichs, Leiter des Fachgebiets „Urbane Ökophysiologie der Pflanzen“ an der HU Berlin koordiniert das Projekt, das er – gemeinsam mit seinem Kollegen, dem Biosystemtechniker Prof. Dr. Uwe Schmidt – auch initiierte.

Drei etablierte Agrarsysteme – intelligent verknüpft

Bei CUBES Circle (closed urban modular energy- and resource-efficient agricultural systems) geht es um die Zukunft der Ernährung. Als eines von bundesweit acht Projekten mit visionären Lösungsansätzen für „Agrarsysteme der Zukunft“ wird das inter- und transdisziplinäre Forschungskonsortium seit 2019 vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF, neuerdings Bundesministerium für Forschung, Technologie und Raumfahrt, BMFTR) gefördert. Denn die Weltbevölkerung wächst kontinuierlich an – und damit schwinden dringend benötigte Anbauflächen. In den 2080er-Jahren werden nach Prognosen der Vereinten Nationen etwa 10,3 Milliarden Menschen auf der Erde leben, derzeit sind es bereits rund 8,1 Milliarden. Hinzu kommt: Der städtische Raum wird deutlich dichter besiedelt sein. Heute schon wohnt mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung in urbanen Zentren, 2050 werden es fast zwei Drittel sein. Als eine weitere große Herausforderung des 21. Jahrhunderts verschärft der Klimawandel die weltweite Ressourcenknappheit.

Der Ansatz von CUBES Circle verbindet drei verschiedene Produktionssysteme in einem nahezu geschlossenen Energie- und Stoffwechselkreislauf. Das System kombiniert Pflanzenanbau, Fisch- und Insektenproduktion. Jede dieser „Produktionseinheiten“ ist in einem mobilen, stapelbaren Modul untergebracht. Diese „CUBES“ sind smart vernetzt und kommunizieren somit miteinander. Der Stoffkreislauf innerhalb des Gesamtsystems CUBES Circle kopiert die Natur: Abfälle der Pflanzen werden an Insekten verfüttert. Aktuell knabbern im InsectCUBE im Erdgeschoss des CUBE-Gebäudes Wüstenheuschrecken an Blättern und Stängeln – denn die vorher eingesetzten Schwarzen Soldatenfliegen mochten keine Tomaten. Mit den Ausscheidungen der Insekten wiederum werden Fische gefüttert, die in blauen Aquaponik-Fässern im FishCUBE im Kreis herumschwimmen. Und mit den Nährstoffen aus dem Fischwasser werden die Pflanzen genährt. Wie in der Natur gibt es in diesem System keine Abfallstoffe. Selbst das CO2, das die Insekten produzieren, wird zur Pflanzendüngung verwendet. Seit Kurzem haben die Forscherinnen und Forscher das System um eine vierte Produktionsstufe erweitert: Pilze dienen als Zersetzer für die natürliche Materie.

CUBES Circle ist in seiner Komplexität einzigartig. „Das System funktioniert nach dem Zero-Waste-Prinzip – und bildet damit einen nachhaltigen und äußerst effizienten Wertschöpfungskreislauf“, so Christian Ulrichs. „Aufgrund seiner mobilen Natur, der einfachen Anpassbarkeit an die sich schnell wandelnde urbane Umgebung und der systeminhärenten Skalierbarkeit des Systems können die CUBES gleichermaßen auf ruralen, urbanen und sogar wüstenähnlichen Standorten eingesetzt werden.“ Die langfristige Zielsetzung des Projekts: Durch die Vernetzung der drei agrarischen Produktionssysteme Aquakultur, Insektenzüchtung und gärtnerische Pflanzenproduktion sollen die Schwächen bisheriger Agrarproduktionssysteme überwunden und damit ein flexibel einsetzbares, weitgehend autarkes Ernährungssystem geschaffen werden. Derzeit läuft das System allerdings noch nicht autark, sondern „embedded“, wie Ulrichs erläutert. „Das heißt, wir haben Schnittstellen zum Umfeld definiert – entnehmen zum Beispiel Abwärme und Reste aus der Industrie und können als Energiespeicher dienen. Was wir rausnehmen, müssen wir auch wieder reingeben. Das machen wir in Form von Jungfischen und jungen Pflanzen. Auch Junglarven kaufen wir ein. Uns war von Anfang an klar: Wir sehen in dem Projekt keine Revolution, sondern eher eine Evolution.“

@ CUBES Circle

Bundesweites Verbundprojekt mit synergetischen Kompetenzen

Als inter- und intradisziplinäres Projekt bindet CUBES Circle Verbundpartner mit spezifischen Kompetenzen ein. So betreut etwa das Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) den Bereich Aquaponik, die Technische Universität Chemnitz bereitet die Daten auf und kümmert sich um die Vernetzung und die Technische Universität Braunschweig übernimmt die Nachhaltigkeitsberechnungen für das Projekt. An der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf steht außerdem ein zum CUBE umgewandelter Schiffscontainer, der Vergleichswerte liefert. Denn die Module in Berlin-Dahlem wurden kostensparend aus Holz gebaut. Auch eine Psychologin ist mit an Bord: Prof. Dr. Linda Onnasch vom Institut für Psychologie und Arbeitswissenschaft an der Technischen Universität Berlin.

„Gesellschaftliche Akzeptanz ist für das Projekt entscheidend“, erläutert Ulrichs“: Dazu gehört auch die Frage: Kann man so etwas in der Nachbarschaft aufbauen?“ Denn wie viele zukunftsorientierte Lösungen, kann auch CUBES Circle auf Vorbehalte stoßen. Erhebungen und Befragungen potenzieller Nutzerinnen und Nutzer sind deshalb wichtiger Bestandteil des Projekts. Ebenso wie die spezifische Ausbildung von Fachkräften – etwa aus dem Gartenbau. Diese könnten beispielsweise über Augmented Reality geschult werden. Ein weiteres Akzeptanz-Thema des Projekts ist das Tierwohl. „Bei den Fischen ist die artgerechte Haltung ziemlich gut erforscht. Man weiß: die wollen im Kreis schwimmen und brauchen keine Kuschelecken. Bei den Insekten hingegen ist man das Thema bisher ziemlich hemdsärmelig angegangen“, so Ulrichs. „Insekten haben ja ein anderes Nervensystem als wir. Viele Biologen sehen das kritisch.“ So wie Dr. Wael Yakti. Der Brain City Botschafter kümmert sich als Chefentomologe des Teams um die Insekten im CUBE und erforscht dabei gleichzeitig, unter welchen Bedingungen sich Maden und Heuschrecken im InsectCUBE besonders wohl fühlen.

Auf die Gesellschaft zugehen

Die Förderung für CUBES Circle durch das BMFTR wurde gerade verlängert – bis zum Ende des Jahres 2028. Bis dahin möchte Ulrichs das System marktfähig machen. „Wir haben bereits eine Standortanalyse für den anstehenden Transformationsprozess durchgeführt und geschaut, wo es Industrien gibt, an die wir andocken können. Das können beispielsweise Biogasanlagen oder Betriebe im Bereich der Hühnerhaltung sein. Flächen wurden in Brandenburg und Umgebung und im Ruhrgebiet identifiziert.“ Der nächste Schritt in der Projektplanung: mit potenziellen Investoren, der Politik und vor allem auch mit der Gesellschaft ins Gespräch zu kommen. Ein Digitaler Zwilling des Systems dient dem Team als Anschauungs-Modell für Externe, als Projektierungs- und Planungstool für die eigene Arbeit und unterstützt zugleich die Akzeptanz-Arbeit.

Ein weiteres aktuelles Querschnittsthema von CUBES Circle ist es, anhand der Anlage zu lernen und dabei auch neue Organismen und Pflanzen in den Kreislauf zu integrieren. Zum Beispiel Erdbeeren, Paprika oder den als antidiabetische Heilpflanze bekannten gefleckten Spiralingwer (Costus pictus). Ulrichs: „Jedes CUBE-Modul ist unterteilt in einen Produktionsteil und laufende Experimente.“ In die Auswahl der Pflanzen und Forschungsansätze fließen auch die Ergebnisse von Akzeptanzstudien mit ein. Für Christian Ulrichs ist das selbstverständlich. „Im Gegensatz zur Lebensmittelindustrie legen wir den Konsumentinnen und Konsumenten keine fertigen neuen Produkte vor und versuchen, sie zu überzeugen. Als Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gehen von vornherein auf die Gesellschaft zu. Das ist ganz klar der Weg, den wir als Universität gehen müssen.“ Die saftigen roten Tomaten aus der nachhaltigen CUBE-Produktion bestätigen Christian Ulrichs These. Der Selbsttest ergab: Sie schmecken tatsächlich unglaublich gut!

cubescircle.de

Text: Ernestine von der Osten-Sacken

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