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10.08.2023„Wir muten den Bäumen in der Stadt ganz schön viel zu“
Trockenheit und andere Stressfaktoren wie Auftausalze machen den Berliner Bäumen zu schaffen. Mehr als die Hälfte der rund 430.000 Berliner Straßenbäume sind bereits geschädigt. Das betrifft vor allem Berliner Stadtbaum-Klassiker wie Linde und Ahorn. Prof. Dr. Claus Bull und Dipl.-Ing. Dirk Jäger untersuchen am Studiengang Gartenbauliche Phytotechnologie der Berliner Hochschule für Technik gemeinsam mit Studierenden, was Straßenbäume zum Überleben brauchen und wie sie wirkungsvoll vitalisiert werden können.
„Braun und trocken ist der Rand des Lindenblattes, das Prof. Dr. Claus Bull in der Hand hält. Nach innen hin ist es gelblich verfärbt, im Mittelbereich noch grün. „Bei dem gelben Bereich handelt es sich um eine sogenannte Chlorose. Dort findet krankheitsbedingt keine Photosynthese mehr statt. Die Zellen sterben ab. Nekrotisches, also totes Gewebe entsteht. Das sehen wir am Rand.“ Claus Bull ist Professor für Gärtnerische Pflanzenproduktion und -vermarktung am Studiengang Gartenbauliche Phytotechnologie der Berliner Hochschule für Technik (BHT). Der Wissenschaftler leitet zugleich das Labor Gewächshaus der Hochschule. Hier lernen und forschen Studierende beispielweise, unter welchen Bedingungen Nutzpflanzen wie Tomaten nachhaltig gedeihen, wie Nährstoffkreisläufe ressourcenschonend aufgebaut werden oder sie beobachten und untersuchen, wie sich LED-Beleuchtung auf das Wachstum und den Nährstoffgehalt von Gemüse auswirkt.
Ein weiteres Thema, das Claus Bull zusammen mit seinem Kollegen Dirk Jäger im Rahmen von Lehrveranstaltungen untersucht, ist die Vitalisierung von Stadtbäumen: Hinter dem Gewächshaus auf dem Gelände der BHT in Berlin-Wedding stehen junge Winterlinden in Versuchsblocks aufgereiht. Einige haben geschädigte Blätter, andere wiederum wachsen grün und gesund. Allen gemein ist: Sie werden über dünne weiße Leitungen kontrolliert mit Wasser und Nährstoffen versorgt. Einigen wird Auftausalz zugeführt, das im Winter auch auf Berliner Straßen gestreut wird, um die Rutschgefahr zu dämmen.
Mehr als die Hälfte der Berliner Straßenbäume geschädigt
Vor allem Linde und Ahorn, die in Berlin verbreitetsten Straßenbäume, nehmen das Tausalz über ihre Wurzeln auf und lagern es ein „In den Sommermonaten, insbesondere bei starker Trockenheit, führt das dann zu nekrotischen Schäden. Die Bäume leiden und werfen ihr Laub vorzeitig ab“, erläutert Claus Bull. „Es ist ein wenig wie bei uns Menschen: Wenn wir viele Salzstangen essen, aber nichts dazu trinken, geht es uns ebenfalls nicht gut.“
Die rund 430.000 Berliner Straßenbäume übernehmen als natürliche Klimaanalage eine wichtige Aufgabe in der Stadt: Sie spenden Schatten, filtern die Luft, produzieren Sauerstoff, halten in ihren Wurzelzwischenräumen das Wasser – und sorgen dafür, dass wir uns auch in großen Straßen wie Unter den Linden und auf ansonsten betonierten Plätzen wohlfühlen. Doch die Begleiterscheinungen des Klimawandels wie Trockenperioden und Starkregen und alltäglicher Stadtstress wie hohe Strahlenbelastung, Luftverschmutzung, Hunde-Urin, Bodenversiegelung oder Auftausalze machen den Bäumen zu schaffen. Laut Berliner Straßenbaum-Zustandsbericht von 2020 sind inzwischen mehr als die Hälfte aller Straßenbäume in der City leicht oder schwer geschädigt. Untersucht wurden Linde, Ahorn, Rosskastanie und Platane, die zusammen mehr als drei Viertel des Baumbestands in der Berliner Innenstadt ausmachen. „Wir muten den Bäumen in der Stadt ganz schön viel zu. Dabei sind sie unsere Dienstleister“, sagt Claus Bull.
Um herauszufinden, mit wie viel Wasser und Nährstoffen Stadtbäume innerhalb einer Vegetationsperiode versorgt werden müssen, damit sie trotz Tausalzen gut weiterleben können, führten Claus Bull und Dirk Jäger 2016 das Projekt „Düngung und Bewässerung der Berliner Straßenbäume“ (DuBeBa) durch. Auf dem Hohenzollerndamm wurde Spitzahornbäumen über unterhalb der Grasnarbe verlegte Tropfschläuche eine Nährlösung mit Kalium- und Magnesium zugeführt. Eine Vergleichsbaumgruppe wurde nicht versorgt. Die zugeführte Flüssigkeitsmenge wurde anhand aktueller Daten der Wetterstation auf dem Campus der BHT berechnet. Das erfreuliche Ergebnis: „Durch gezielte Düngung und Bewässerung konnten wir die Nekrosen an den Blättern der Bäume um ein Drittel reduzieren und die Bäume damit nachweislich vitalisieren “, erläutert Dirk Jäger. „Das war für uns ein Ansporn, weiterzumachen.“
Forschungsziel: die Bäume langfristig gesund erhalten
Im Rahmen von Lehrveranstaltungen und Bachelor-Arbeiten gehen Studierende im Gewächshaus der BHT seitdem unter Laborbedingungen der Frage nach, wie Stadtbäume auf die sich verändernden Umweltbedingungen reagieren. Versuchsbaum ist die Winterlinde – einer der ältesten Berliner Stadtbäume. Um dabei die Messfehler möglichst gering zu halten, verwenden die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler genetisch identische Baum-Klone, die über Steckhölzer vermehrt wurden. „Es geht uns darum zu verstehen, was eigentlich in der Pflanze passiert, wenn wir Ballastsalze wie Natriumchlorid – auch in Kombination mit Kalium – zuführen. Mit wie viel Wasser und Nährstoffen muss sie versorgt werden, um vital zu bleiben?“, so Dirk Jäger. „Spannend ist es für uns auch, genetische Variationen zu finden, die die Bäume gegen bestimmte Schadstoffe tolerant machen oder sie Trockenperioden besser überstehen lassen. Unser Ziel ist es, Schäden von den Bäumen möglichst langfristig abzuwenden.“ In Berlin ebenfalls angepflanzte Straßenbaumarten wie die Platane oder die als invasiv geltende Robinie sind widerstandsfähiger gegenüber Umwelteinflüssen wie Auftausalzen. Allerdings bringen sie andere Nachteile mit sich, auch in Form von Krankheiten und Schädlingen. „Die Platane beispielsweise ragt stark in das Lichtraumprofil der Straßen hinein und sie hat enorm viel Blattfall“, erklärt Claus Bull. „Auch machen ihr Pilzerkrankungen sehr zu schaffen.“
Mehrere tausend Freilandlabore
Berlin bietet Claus Bull, Dirk Jäger und dem gesamten Laborteam im Gewächshaus des Studiengangs Gartenbauliche Phytotechnologie eine ideale Forschungsumgebung. „Die Stadt ist groß. Wir finden hier mit den vielen Grünflächen, Parks und den großen Hauptverkehrsstraßen das gesamte Spektrum an Standortbedingungen für Straßenbäume“, sagt Claus Bull und ergänzt. „Auch die genetische Ausgangssituation in Berlin ist für unsere Forschung hervorragend – wir haben hier mehrere tausend Freilandlabore direkt vor der Haustür.“
Dass die Ergebnisse ihrer Stadtbaumforschung die Situation der Berliner Stadtbäume kurzfristig verbessern werden, davon gehen die beiden Forscher nicht aus. Viel wichtiger sei es jedoch, das Thema Stadtbaumdüngung- und Bewässerung in der Stadt mit Priorität nach vorn zu bringen, wie Claus Bull betont. „Dies erfordert auch politisch richtige Entscheidungen, zum Beispiel in Fragen der Stadtplanung und der Mittelbereitstellung für die Grünflächenämter.“ Um die Lebensbedingungen der Bäume in den Berliner Grünflächen und an den Straßen zu verbessern, steht das Team unter anderem mit der Berliner Regenwasseragentur im Austausch, die etwa Verwaltungen, Wohnungsunternehmen oder Eigentümerinnen und Eigentümern von Immobilen dabei berät und unterstützt, Regenwasser als Ressource für die Stadt zu nutzen. Auch mit der Berliner Baumschulwirtschaft ist der Studiengang eng vernetzt. Vor allem aber geht es Claus Bull, Dirk Jäger und ihren Kolleginnen und Kollegen darum, Studierende für die zunehmende Stresssituation zu sensibilisieren, der Straßenbäume in der Stadt ausgesetzt sind. „Wir wollen zum kritischen Nachdenken anregen“, sagt Claus Bull. „Die Studierenden sollen lernen, Prozesse zu hinterfragen und zu überlegen, wie man die knappe Ressource Wasser in einer Stadt wie Berlin bündeln oder anders nutzbar machen kann – um später schlaue Lösungen daraus abzuleiten.“ (vdo)
Weiterführende Informationen
- Studiengang Gartenbauliche Phytotechnologie an der BHT
- Daten und Fakten zu Berliner Stadtbäumen (Senatsverwaltung für Mobilität, Verkehr, Klimaschutz und Umwelt)
- Spenden für Stadtbäume: Stadtbaumkampagne der Senatsverwaltung für Mobilität, Verkehr, Klimaschutz und Umwelt
- Initiative „Gieß den Kiez“