• Das Team von Bettaf!ish auf einem Algenfischkutter in Norwegen, Brain Ciyt Berlin

    „Mit allem, was wir tun, betreten wir Neuland“

Es gibt sie in der Dose, im Glas oder als Sandwich: TU-NAH und SAL-NOM sind algenbasierte Fischalternativen, die wie Thunfisch und Lachs schmecken und sogar ähnlich aussehen. Entwickelt, produziert und vertrieben werden diese weltweit ersten authentischen Fischalternativen auf Meeresalgenbasis von dem Berliner Unternehmen BettaF!sh. Das 2020 gegründete Start-up forscht mit einem eigenen R&D-Team in der Brain City Berlin und arbeitet dabei europaweit eng mit Hochschulen und Forschungseinrichtungen zusammen. Das Ziel vom BettaF!sh: Meeresalgen auf jeden Teller zu bringen und die Lebensmittelindustrie klimafreundlicher zu gestalten. Mehr darüber erzählt BettaF!sh-Gründerin Deniz Ficicioglu.

Frau Ficicioglu, wie entstand die Geschäftsidee von BettafF!sh?

Ich hatte schon immer eine enge Verbindung zum Essen und zum Meer. Vielleicht liegt es daran, dass mein Vorname auf Türkisch „Meer“ bedeutet. Mein Vater führte ein Restaurant. Und ich liebte es als Kind, in der Küche zuzuschauen und die Aromen und Zutaten zu entdecken. Diese Leidenschaft für Lebensmittel wurde noch stärker, als bei mir vor einigen Jahren eine Gluten- und Weizenunverträglichkeit diagnostiziert wurde und ich meinen Lebensstil ändern musste. Gleich beim ersten Einkauf wurde mir bewusst, wie sehr das Lebensmittelsystem inzwischen weltweit aus dem Gleichgewicht geraten ist. Ich beschloss, die Kontrolle über meine Ernährung künftig selbst in die Hand zu nehmen. Im Hamburger Food-Innovation-Hub HERMANNS’s entdeckte ich das enorme Potenzial von Meeresalgen. Von diesem Moment an war klar: Meeresalgen können nicht nur eine nachhaltige, sondern auch eine gesunde Alternative zu Fisch sein – und Antworten auf einige der drängendsten ökologischen Fragen liefern.

Wie ging es dann weiter?

2020 gründete ich in Berlin BettaF!sh. Seitdem setzen wir mit einem inzwischen 15-köpfigen Team auf die Kraft der Meeresalge. Denn wenn wir über die Zukunft der Ernährung sprechen, führt kein Weg an unseren Meeren und Meeresalgen vorbei. 70 Prozent unseres Planeten sind von Meeren bedeckt, doch aktuell stammen 98 Prozent aller konsumierten Kalorien vom Land. Das ist absurd!

Was ist das Besondere an den Produkten von BettaF!sh?

Sie sind in vielerlei Hinsicht einzigartig. Zum einen setzen wir auf Meeresalgen als Kernzutat – eine der nachhaltigsten Ressourcen unseres Planeten. Algen wachsen ohne Süßwasser, Dünger oder Pestizide und tragen aktiv zur Regeneration der Meere bei. Das macht sie nicht nur ökologisch, sondern auch wirtschaftlich zukunftsweisend. Unsere Produkte überzeugen aber auch durch Geschmack, Textur und Nährstoffgehalt. Dabei verzichten wir komplett auf Soja und Weizen und verwenden keinerlei künstliche Aromen oder Zusatzstoffe. Stattdessen setzen wir auf regionale Ackerbohnen- und Erbsenproteine. Besonders macht uns auch, dass wir mit europäischen Algenfarmen zusammen daran arbeiten, um die Nachfrage nach Meeresalgen zu steigern. Dies gibt Fischerinnen und Fischern außerdem die Möglichkeit, ihren Lebensunterhalt weiterhin am Meer zu verdienen. Gleichzeitig unterstützen wir die Regeneration maritimer Ökosysteme und helfen, Fischbestände wiederaufzubauen.

Sie führen eigene R&D-Projekte durch – auch in Berlin?

Ja, unsere Innovationskraft basiert auf einer Kombination aus interner Forschung und Entwicklung sowie strategischen Partnerschaften mit führenden Forschungsinstituten, Darunter die Fraunhofer IMTE Einrichtung für Individualisierte und Zellbasierte Medizintechnik in Lübeck und SINTEF– eine der größten europäischen unabhängigen Forschungsorganisationen. Ziel dieser Kooperationen ist es, Meeresalgen für eine breite Anwendung in verschiedensten Lebensmitteln weiterzuentwickeln. Aktuell arbeiten wir unter anderem an dem von der EU und dem Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Projekt „FunSea“, um zu erforschen, wie man kultivierte Braunalgen zu neuartigen, sicheren, gesunden und schmackhaften Lebensmitteln verarbeiten kann. Die Zusammenarbeit mit SINTEF, Fraunhofer sowie den Universitäten Lund und Aalborg schlägt eine Brücke zwischen Wissenschaft und Praxis. Diese Partnerschaften ermöglichen es uns, wissenschaftlich fundierte und zukunftsweisende Lösungen zu entwickeln, die sowohl die Anforderungen der Industrie als auch die Bedürfnisse der Verbraucherinnen und Verbraucher erfüllen. Die meiste Forschung und Entwicklung betreiben wir jedoch direkt in Berlin. Unser Team vereint Lebensmitteltechnologinnen, Biotechnologinnen und sogar einen gelernten Koch. So können wir innovative Grundlagenforschung betreiben und unsere Entwicklungen schnell in marktreife Produkte übersetzen.

Welches waren die bisher größten Herausforderungen bei der Gründung von BettaF!sh?

Mit allem, was wir tun, betreten wir Neuland. Das macht unsere Arbeit unglaublich spannend, aber auch anspruchsvoll, da wir täglich neue Lösungen entwickeln und umsetzen müssen. Eine der größten Herausforderungen war für uns der Aufbau der ersten Supply Chain für kultivierte Braunalgen in Europa. Vor unserer Gründung gab es zwar passionierte Algenfarmerinnen und -farmer, aber keine Weiterverarbeitungsindustrie, die diese Algen für den Lebensmittelbereich nutzbar machen konnte. Wir mussten vor Ort bei den Farmen völlig neue Standards etablieren, um die Qualität und Verfügbarkeit der Produkte sicherzustellen. Dieses Mammutprojekt haben wir gestemmt, bevor wir überhaupt mit der Entwicklung unserer Produkte beginnen konnten. Als diese Basis geschaffen war, stand die nächste große Frage im Raum: Wie machen wir die Alge für den Massenmarkt attraktiv und gleichzeitig erschwinglich? Über viele Umwege sind wir letztlich beim pflanzlichen Thunfisch gelandet – ein vertrautes Lebensmittel mit authentischem Geschmack, das Konsumentinnen und Konsumenten den Einstieg in die Welt der Algen erleichtert. Aktuell arbeiten wir in unserer F&E daran, den Algenanteil in unseren Produkten weiter zu erhöhen. Dabei steht insbesondere die Herausforderung im Fokus, den „Colour-Code“ der Alge zu knacken, denn die meisten Algenarten sind sehr grün, das macht sie unattraktiv für die Lebensmittelindustrie.

Warum ist Berlin ein guter Standort für ein Start-up wie BettaF!sh? Es liegt ja nicht gerade an der Küste.

Stimmt, die Algen, die wir verwenden, kommen definitiv nicht aus der Spree. Die vielen Universitäten in Berlin sind für uns ein klarer Vorteil. Gleich zwei Berliner Hochschulen – die Technische Universität Berlin sowie die BHT Berliner Hochschule für Technik – bieten Studiengänge im Bereich Lebensmittel- und Biotechnologie an. Viele Studierende möchten außerdem nach dem Hochschulabschluss in Berlin bleiben. Doch es gibt nicht viele große Unternehmen in diesem Bereich, die zusätzlich Ansprüche an Purpose und Zukunftsfähigkeit erfüllen. Da können wir als Arbeitgeberin natürlich ordentlich punkten. Denn seit unserer Gründung haben wir unsere Entwicklungsflächen und unser Büro im Food Inovation Hub „Kitchentown“ in der Mollstraße. Hier gibt es genau die Infrastruktur, die wir brauchen, um unsere Forschung und Entwicklung voranzutreiben. Gleichzeitig sind wir Teil einer großen Community aus Food-Tech-Unternehmen, Expertinnen und Experten sowie potenziellen Partnerinnen und Partnern aus der Industrie. Diese Zusammenarbeit hat unser Schaffen in vielen Bereichen beschleunigt – auch ohne Küste.

Welche Eigenschaften sollten Gründende mitbringen, um aus der Wissenschaft heraus erfolgreich ein Start-up auf den Weg zu bringen?

Sie sollten vor allem Neugier, Durchhaltevermögen und die Fähigkeit mitbringen, andere für ihre Mission zu begeistern. Denn niemand schafft Wandel allein. Wir brauchen immer Verbündete aus Wissenschaft, Wirtschaft und Politik. Die Fähigkeit, Brücken zwischen Forschung und Praxis sowie zwischen Theorie und marktfähigen Produkten zu schlagen, ist essenziell. Ebenso wichtig ist es, neue Narrative für eine bessere Zukunft zu entwickeln, von der alle profitieren können. Das Wichtigste für Gründerinnen und Gründer ist es jedoch, niemals den Optimismus zu verlieren. Wenn wir selbst nicht an unsere Mission glauben, wird es schwierig, andere zu begeistern – seien es Mitarbeitende, Kundinnen und Kunden oder Investoren.

Apropos Mission: Welche Vision hat BettaF!sh – und wo soll das Unternehmen in fünf Jahren stehen?

Unsere Vision ist es, Meeresalgen als nachhaltige Schlüsselzutat für die Ernährung der Zukunft zu etablieren. Wir möchten, dass Meeresalgen nicht nur als Alternative wahrgenommen werden, sondern als selbstverständlicher Bestandteil in einer Vielzahl verarbeiteter Lebensmittel. Für den Genuss, die Umwelt und die Menschen. In fünf Jahren sehen wir uns als führenden B2B-Anbieter von algenbasierten Zutaten und Lebensmitteln in Europa und darüber hinaus. Unser Ziel ist es, nicht nur Konsumentinnen und Konsumenten mit unseren Produkten zu begeistern, sondern auch einen nachhaltigen Wandel in der Lebensmittelindustrie zu bewirken.

Interview: Ernestine von der Osten-Sacken

Mehr Informationen

Mehr Stories