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© Berlin Institute for Innovation
26.02.2025Die Forschungsmanufaktur
„Innovation = Invention + Marktdurchdringung“, so die Arbeitsformel des Berlin Institute for Innovation (BIFI). Das 2010 in der Brain City Berlin gegründete interdisziplinäre Team unterstützt insbesondere Gründerunternehmen dabei, innovative Produkte zu entwickeln und auf den Markt zu bringen. Wissenschaftlich fundiert betrachtet BIFI die Erlebniswelt künftiger Nutzerinnen und Nutzer – und setzt vor allem auf Psychologie. Auch die Perspektiven von Wissenschaft und Wirtschaft bringt das Team strategisch zusammen, wie Gründerin Anke Skopec erläutert.
Ein gern zitiertes Vorzeigbeispiel für erfolgreichen Wissenstransfer in Deutschland ist die Entwicklung des mRNA-Impfstoffes Comirnaty (BNT162b2) durch BioNTech. Die beiden Immunulogen Uğur Şahin und seine Partnerin Özlem Türeci gründeten das Mainzer Biotechnologieunternehmen 2008 mit dem Preisgeld, das sie im Rahmen eines Wettbewerbs der „Gründungsoffensive Biotechnologie“ (GO-Bio) des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) gewonnen hatten. Das Programm fördert innovative Projekte aus dem Bereich der Lebenswissenschaften, um sie in die Anwendung zu bringen – wie aktuell etwa das in Berlin-Buch ansässige, auf T-Zell-Therapien spezialisierte Start-up Captain T Cell. GO Bio steht ganz im Zeichen der 2023 von der Bundesregierung beschlossenen „Zukunftsstrategie Forschung und Innovation“. Deren Zielsetzung: Mehr bahnbrechende Innovationen auf den Weg zu bringen. Denn Deutschland verliert in puncto Innovationskraft weltweit immer mehr an Boden. Laut Innovationsindikator 2024, erstellt vom Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI), Roland Berger, Fraunhofer ISI und dem Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW), ist die Bundesrepublik inzwischen auf Rang 12 von 35 analysierten Volkswirtschaften abgerutscht. Es liegt es damit kurz vor Großbritannien, aber weit hinter den Erstplatzierten Schweiz, Singapur und Dänemark. Zwar schneide Deutschland bei Forschung und Entwicklung nach wie vor sehr gut ab, bei der Umsetzung des Wissens in die Wirtschaft hapere es jedoch.
Individuell konzipierte Erlebnis-Szenarien
Als einen zentralen Grund dafür, dass viele wissenschaftsgetriebene Innovationen auf dem Markt nicht landen können, benennt Dr. Anke Skopec, Geschäftsführerin und Head of Research beim Berlin Institute for Innnovation (BIFI), dass die Umfeldparameter im Vorfeld häufig nicht richtig bestimmt werden. „Jedes Produkt, jedes Unternehmen und jede Strategie sind anders. Sich allein auf bestehende Ansätze und Daten zu stützen, reicht daher nicht.“ Hier setzt BIFI an. Das 2010 von der Betriebswissenschaftlerin und Psychologin Skopec zusammen mit vier Mitstreitern gegründete Unternehmen ist inzwischen auf ein zehnköpfiges, interdisziplinäres Team aus Forscherinnen und Forschern angewachsen. BIFI hat sich darauf spezialisiert, Start-ups und KMU dabei zu helfen, ihre Innovationsideen erfolgreich auf den Markt zu bringen. Im Gegensatz zur klassischen Marktforschung setzt das Team nicht allein auf Zahlen und Statistik, sondern vor allem auf Psychologie.
„Wir erforschen seit 15 Jahren, unter welchen Umständen Innovationen genutzt werden können“, so Anke Skopec. „Um besser zu verstehen, was Menschen einen wirklichen Mehrwert bietet und Fortschritt bedeutet, kreieren wir mithilfe der Psychologie neue Anwendungswelten und Realitäten, zum Beispiel über Videos. Wir haben auch schon Hypnose genutzt.“ BIFI versteht sich in diesem Prozess als Geburtshelferin: „Wir schaffen keine Innovationen, sondern helfen dabei, sie erfolgreich auf den Markt zu bringen“, erläutert Skopec. „Die Psychologie ist nötig, um das menschliche Verhalten in der individuellen Erlebniswelt eines neuen Produkts valide zu erklären und vorherzusagen.“ Die Gleichung, an der sich das Team in diesem Prozess orientiert lautet: Innovation = Invention + Marktdurchdringung. Wobei Marktdurchdringung in diesem Kontext bedeutet, „dass sich die Invention auch tatsächlich in der realen Welt durchsetzt und sozial in signifikantem Maß den Status Quo verändert“. Ein Beispiel für ein solches Erlebniswelt-Szenario ist die „Feedback Factory“, ein Testkaufhaus für Start-up-Produkte, das BIFI 2018 eröffnete, um jungen Unternehmen einen schnelleren und einfacheren Einstieg in den Handel zu ermöglichen. Dem Berliner Start-up DearEmployee wiederum half das Team dabei, einen spezifischen Matching-Mechanismus für seine App zu entwickeln. Über die Plattform können Unternehmen psychische Belastungen von Mitarbeitenden am Arbeitsplatz messen und individuelle Gesundheitslösungen definieren.
Marktforschung mit Fingerspitzengefühl
„Wir haben viele Kunden, die als Uniausgründungen ein Geschäftsmodell entwickeln möchten“, sagt Anke Skopec „Im ersten Schritt versuchen wir daher zu verstehen, wo beim Aufraggeber wirklich der Schuh drückt, wo die strategische Herausforderung liegt. Das ist häufig ein bisschen versteckt. Daraus abgeleitet, empfehlen wir eine Methodik und entwickeln ein Konzept. In der Umsetzung nutzen wir Statistik ebenso wie qualitatives Abbilden und schneidern dann jede Studie individuell zu. Wir sind quasi eine Forschungsmanufaktur.“
Ein wichtiger Bestandteil der Arbeit dieser Manufaktur und gleichzeitig eine der zentralen Herausforderungen für das Team: in den Projekten Wissenschaft und Wirtschaft zusammenzubringen. Eine Aufgabe, die Fingerspitzengefühl verlangt: „Um es etwas übertrieben zu sagen: Der Wissenschaft fehlt häufig der Bezug zur wirtschaftlichen Anwendung, der Wirtschaft das psychologische bzw. wissenschaftlich-technische Verständnis ihrer Produkte. Beiden fehlt eine externe Validierung ihrer Ideen. Wir bringen diese Perspektiven zusammen und integrieren sie in unseren Forschungsansatz.“ Anke Skopec interpretiert dies als eine Art Übersetzungshilfe, denn viele ihrer Kunden denken sehr tech-orientiert. „Die Ansprache der Endkunden haben sie oft gar nicht im Blick. Häufig müssen wir dann lediglich gemeinsam den kommunikativen Fokus ein bisschen anders setzen, um das Produkt zukunftsfähig zu machen. Starke Wissenschaftsorientierung, so die Erfahrung Skopec, mache ein Produkt einerseits stark, könne aber auch eine Schwachstelle sein.
Berührungsängste seitens der Forschung gegenüber der Wirtschaft können eine Innovation ebenfalls blockieren. Ein bekanntes Beispiel aus der Tech-Geschichte ist die Entwicklung und Vermarktung des MP3-Dateiformats. Erfunden wurde es Anfang der 1990er-Jahre am Fraunhofer Institut für Integrierte Schaltungen in Erlangen – auf Grundlage der Doktorarbeit des Studenten Karlheinz Brandenburg. Den großen Markterfolg feierte später allerdings nicht Fraunhofer damit, sondern Apple – mit der Einführung des ersten iPod im Jahre 2001.
Das Berlin Institute for Innovation kann in solchen Fällen Brücken schlagen. „Wir leben die Wissenschaftsmöglichkeit intern, aber unsere Arbeitsmentalität gleicht der eines Start-ups“, sagt Anke Skopec. „Wir versuchen, schnell, flexibel und agil zu sein, dabei aber nicht an Tiefe zu verlieren. Unlängst hat jemand gesagt: Ihr durchdenkt immer alles so stark. Ich glaube, das prägt uns sehr. Dass wir wirtschaftsfokussiert denken und trotzdem alles sehr wissenschaftlich angehen.“ Dass BIFI nach wie vor in der Brain City verortet ist, hat gute Gründe: Neben einer lebendigen, engagierten Gründerszene und dem breiten Spektrum an Fördermöglichkeiten für die Erforschung und Entwicklung innovativer Produkte schätzt Anke Skopec an ihrer Geburtsstadt vor allem das hohe Ideenpotenzial: „In Berlin ist die Welt zu Hause – neue Perspektiven kennenzulernen und eine neue Sicht auf die Dinge zu bekommen, ist hier fast unumgänglich.“
Text: Ernestine von der Osten-Sacken