• Patient A. R., aka „Ingenieur von Tarden“ mit dem Modell seines Segelluftschiffs.

    Erfindungswahn – der Traum vom Fliegen

„Fliegende Zigarren“ und Zeppeline: Zu Beginn des 20. Jahrhunderts herrschte in Deutschland eine regelrechte Luftschiff-Euphorie. Bei manchen entwickelte sich daraus gar eine psychiatrisch diagnostizierte Manie. In der Sonderausstellung „Erfindungswahn!“ erzählt das Berliner Medizinhistorische Museum (BMM) der Charité die Geschichte des „Ingenieurs von Tarden“ und seines Segelluftschiffs.

Als Ferdinand Graf von Zeppelin am 4. August 1908 mit seinem Luftschiff „LZ4“ zu seinem ersten 24-Stundenflug von Friedrichshafen nach Mainz und zurück aufbrach, war die Begeisterung in der Bevölkerung groß. Und das, obwohl das Unterfangen floppte. Wegen eines Motorschadens musste die „fliegende Zigarre“ nämlich am 5. August in Echterdingen bei Stuttgart notlanden. In einem aufkommenden Gewitter entzündete sich der Wasserstoff in der Hülle und das Luftschiff verbrannte. Das Ereignis setzte ein nationales Crowdfunding in Gang: Innerhalb kurzer Zeit kamen durch Spenden aus dem Volk mehr als sechs Millionen Mark zusammen – die Grundlage für den Bau späterer Zeppelin-Luftschiffe in Friedrichshafen.

Das „Wunder von Echterdingen“ verdeutlich bis heute die von manchen als „irrsinnig“ bezeichnete Luftschiff-Euphorie, die die Bevölkerung Anfang des 20. Jahrhunderts erfasste. Es war die Zeit vor dem ersten Weltkrieg, motorenbetriebene Fahrzeuge fuhren auf den Straßen, Häuser und Städte wurden von Glühbirnen erhellt und technischer Fortschritt schien nahezu unbegrenzt möglich. Jeder wollte Erfinder sein. Und bei manchen schlug die Euphorie in einen psychiatrisch diagnostizierten Wahn um. Der Berliner „A. R.“ ist ein solcher Fall. Die aktuelle Sonderausstellung „Erfindungswahn!“ des Berliner Medizinhistorischen Museum (BMM) der Charité schildert seine Geschichte anhand von Briefen, Skizzen und Auszügen aus der Patientenakte. 1909 wurde der gelernte Drechsler, der sich selbst „Ingenieur von Tarden“ nannte, in die Psychiatrische Klinik der Charité aufgenommen. Dort tüftelt er unermüdlich an seiner Erfindung: einem Segelluftschiff, mit dem er die Mauern der Psychiatrie überwinden wollte.

„Wir zeigen am Beispiel der Krankenakte des ‚Ingenieur von Tarden‘, wie Psychiatrie, Individuum und Gesellschaft miteinander verwoben sind. Von seinem Aufenthalt als Patient in der Psychiatrie von 1909 bis 1910 gibt es verschiedene Zeugnisse, die in der Krankenakte aufbewahrt wurden“, erläutert BMM-Direktorin Prof. Monika Ankele. Künstlerisch-forschende Interpretationen bereichern die Ausstellung zusätzlich und verweben dabei Vergangenheit und Gegenwart, Fantasie und Wirklichkeit. So ließ sich die Schriftstellerin Teresa Präauer von der Geschichte A. R.s für eine Erzählung inspirieren und das Mahony Collective schuf eine Rauminstallation zu dem Thema. Prunkstück der als begehbare Patientenakte konzipierten Ausstellung ist ein Modell des Segelluftschiffs des „Ingenieurs von Tarden“, rekonstruiert von Bernd-Michael Weisheit – mit Segeln aus Bettlaken.

Die Luftschiff-Euphorie und fand 1937 ein tragisches Ende, als die „Hindenburg“ kurz vor der Landung in Lakehurst im US-Bundesstaat New Jersey explodierte, 36 Menschen starben. Der „Ingenieur von Tarden“ wurde 1910 als geheilt aus der Psychiatrie entlassen. Danach verlieren sich seine Spuren. Ob Erfindungswahn in der Psychiatrie heute noch Thema ist – darauf hat die Ausstellung sicherlich eine Antwort. Ein Besuch lohnt sich! (vdo)

Sonderausstellung „Erfindungswahn! Das Segelluftschiff des ‚Ingenieur von Tarden'"

7. März bis 30. November 2025
Berliner Medizinhistorisches Museum 

Charitéplatz 1, 10117 Berlin
Di, Do, Fr: 10 bis 17 Uhr /  Mi, So: 10 bis 19 Uhr /  Mo: Ruhetag 

bmm-charite.de

Prunkstück der Ausstellung: Das von Bernd-Michael Weisheit nachgebaute Modell des Segelluftschiffs – mit Segeln aus Laken. © Charité / Maria Streltsova

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