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© Ernestine von der Osten-Sacken
17.12.2024Weihnachtsessen: bitte keine Überraschungen!
Alle Jahre wieder locken zum Weihnachtsfest süße Leckereien. Genussvoll verspeisen wir an der festlich gedeckten Tafel auch leckere aber fetthaltige Gerichte. Ein Klassiker: Gans mit Rotkohl und Klößen. Warum können wir diesen weihnachtlichen Versuchungen nicht widerstehen. Und gibt es gar kulinarische „Stimmungskiller“? Prof. Dr. Soyoung Q Park weiß mehr darüber. Denn als Professorin für Entscheidungsneurowissenschaften und Ernährung am Neurowissenschaftlichen Forschungszentrum der Charité - Universitätsmedizin Berlin und dem Deutschen Institut für Ernährungsforschung (DIfE) befasst sie sich vor allem mit einem Thema: Wie wir Entscheidungen treffen.
Frau Prof. Dr. Park, Entscheidungsforscherin – das klingt spannend. Was machen Sie genau?
Ich schaue mir an, wie unser Gehirn Entscheidungen trifft. Traditionell hat man in der Neurowissenschaft alles unterhalb des Halses einfach nicht betrachtet. Dabei nutzten wir täglich Körper und Geist im Zusammenspiel. Das heißt, unser Gehirn trifft Entscheidungen nicht isoliert, sondern hört dabei ganz stark auf den Körper. Was brauchen wir gerade? Schaffen wir es, weit genug zu laufen, um unsere Nahrung zu sichern? Et cetera. Dieses Finetuning zwischen Körper und Geist stammt noch aus unserer Zeit als Jäger und Sammler.
Haben Sie ein konkretes Beispiel aus dem Ernährungsbereich für dieses Finetuning?
Eine Situation kennen wir alle: Wir gehen jeden Tag um 12 Uhr mit Kolleginnen und Kollegen zusammen Lunchen. Eines Tages setzt die Chefin mittags einen Termin an. Schnell ist dann im Körper die Hölle los. Der Kopf schmerzt, der Magen knurrt, wir haben Hunger. Das tut fast weh, weil der Körper eigentlich Essen will, aber nichts bekommt. Wir haben uns also nicht nur vom Kopf her auf die feste Uhrzeit eingestellt, sondern mit dem ganzen Körper. In meiner Forschung betrachte ich Entscheidungsfindung ganzheitlich – als Holistic Decision Making. Es gibt viele äußere und innere Faktoren, die Entscheidungen beeinflussen. Ernährung ist eine davon.
Wenn Kopf und Körper so eng zusammenspielen: Warum können wir dann jedes Jahr Weihnachtsleckereien wie Lebkuchen oder Dominosteinen nur schwer widerstehen, obwohl wir es immer wieder versuchen?
Das sind natürlich unglaublich gut gelernte Signale. Die meisten von uns haben bereits als Kind gelernt: Zu Weihnachten gibt es ein bestimmtes Essen: Gans, Klöße, Kekse, Kuchen. Die Vorfreude ist daran eigentlich das Schönste. Das Hirn erwartet, zum Fest genau das zu bekommen, was wir als Kind gelernt haben, was unsere Kultur uns weitergegeben hat. Dann fühlen wir uns wohl. Schokolade, Gans und ein gemeinsames Essen mit der Familie signalisieren im christlichen Kontext halt Weihnachten. Und als Gesamterlebnis ist Weihnachten gelernt verknüpft mit Geborgenheit.
Sie haben es bereits angedeutet: Es macht einen Unterschied, ob Marzipan oder trockene Haferkekse auf dem Weinachtsteller liegen. Gibt es auch kulinarische „Stimmungskiller“?
Ja, vor allem dann, wenn sie unangekündigt auf dem Teller liegen und für Überraschungen sorgen. Nehmen wir einmal an, die Schwiegertochter lädt die ganze Familie zum Weihnachtsessen ein und kocht etwas völlig Neues. Sie bricht damit sozusagen die Familientradition. So etwas kann ein totaler Stimmungskiller sein. Weder unser Körper noch unser Gehirn möchten mit kulinarischen Überraschungen konfrontiert werden, denn das bedeutet: keine Geborgenheit, kein Wohlgefühl. Man hat halt eine fixe Erwartungshaltung. Je ganzheitlicher diese ist, desto schwerer ist es, sie aufzubrechen. Das betrifft nicht nur das Weihnachtsessen, sondern auch die Baumdekoration, den Geruch im Raum, den Geschmack, die Haptik. Eine neue Weihnachtstradition ist daher nicht nur ein Geräusch, auf das man neu konditioniert werden kann wie ein Pawlowscher Hund. Hier umzulernen, ist für das Gehirn extrem schwer.
Das heißt also: Weihnachten nie etwas Neues auf den Teller?
Sie können gern Neues ausprobieren, aber machen Sie es nicht unangekündigt. Bauen Sie vorher in der Familie behutsam eine alternative Erwartung auf. Indem Sie etwa sagen: „Ich weiß, ihr habt Probleme mit dem Blutdruck. Ich habe mir lange Gedanken darüber gemacht und dachte, es wäre ganz gut, wenn wir dieses Jahr zu Weihnachten vegetarisch essen.“ So etwas ist ja auch ein Zeichen der Zuneigung: „Ich habe mir Gedanken um dich gemacht, ich kümmere mich um dich.“ Es geht um ein „Re-Framing. Dazu gehört auch: Wie erzähle ich das?
Wie sollte gemäß Ihrer Studien das ideale Festessen für harmonische Weihnachten aussehen? Gans und Lebkuchen – oder ein vegetarischer Auflauf mit grünem Salat?
Da wir an Weihnachten über die Ernährung auch die soziale Ebene der Geborgenheit und Zuneigung bedienen, finde ich es absolut genehm, dass man an den Feiertagen Süßigkeiten und fette Gans isst. Seien Sie generös mit sich selbst! In einer unserer Studien konnten wir allerdings aufzeigen, dass proteinreiches Essen Menschen in der sozialen Interaktion im Vergleich zu kohlenhydratreichem Essen ein wenig toleranter macht. Zucker und Weißmehlprodukte hingegen fördern bekanntlich den schnellen Anstieg des Insulinspiegels und machen aktiv. Sinkt dieser genauso rapide ab, wird man müde. Um solche Stimmungsschwankungen zu vermeiden, sollte man Vollkornprodukte mit Gemüse servieren und versuchen, das mit Proteinen zu kombinieren. Es gibt auch sogenannte „Nudging-Strategien“, mit denen wir unser Naschverhalten durch sanftes „Anschubsen“ nachhaltig ändern können.
Und diese Strategien helfen wirklich?
Ja, das haben unsere Studien gezeigt. Eine dieser Strategien heißt: einfach weglassen oder Süßes ersetzen. So kann man beispielsweise den Adventskalender für die Kinder mit kleinen Rätseln statt mit Schokolade bestücken und damit eine neue Tradition etablieren. Eine andere Nudging-Strategie haben wir in der Forschung erprobt: Wir haben unsere Probandinnen und Probanden gebeten, gesunde Nahrungsmittel körperlich an sich heran zu ziehen. Es reichte auch, wenn sie sich in die Richtung der Lebensmittel lehnten. Ungesundes, wie Chips oder Süßigkeiten, sollten sie hingegen wegschieben. Das haben sie dann 15 bis 20 Minuten lang immer wieder gemacht. Danach war bereits ein Auswahl-Effekt in Richtung gesundes Essen zu beobachten. Wir haben den gelernten Automatismus also einfach umgedreht: Weg vom Erdbeertörtchen – hin zur Orange. Zu Weihnachten alle Zimtsterne wegzuschieben und nur auf Rohkost zu setzen, würde vermutlich aber alle unglücklich machen. Dafür ist schnell genug wieder der Alltag da.
Was wird denn bei Ihnen Heiligabend auf dem Teller liegen?
Ich bin Koreanerin, und wir feiern eigentlich Weihnachten traditionell nicht so groß. Adventskalender und andere Weihnachtstraditionen gab es bei uns in der Familie nicht, als ich aufwuchs. Aber für die Familie meines Mannes ist das sehr wichtig. Da gehe ich natürlich schon wegen der Kinder mit. Ich möchte, dass sie diese Tradition lernen und mit einem Gefühl der Geborgenheit verbinden. Insofern wird es bei uns auch in diesem Jahr wieder ein traditionelles deutsches Weihnachtsgericht geben.
Interview: Ernestine von der Osten-Sacken