• Das Neurospace-Team mit dem HiveR, Brain City Berlin

    „Wir wollen Wissenschaft und Industrie zum Mond bringen“

Ein Berliner im Weltraum? Im September 2025 wird es soweit sein. Dann nämlich wird die Raumkapsel Orion auf der NASA-Mission Artemis 2 vom Kennedy Space Center in Florida aus in Richtung Mond fliegen. Die erste bemannte Mondmission seit Apollo 17 im Jahr 1972 soll den Erdtrabanten ohne Landung umrunden und die Kapsel unter realen Bedingungen testen. Mit an Bord: der Satellit Tacheles, den das Berliner Start-up Neurospace konzipiert und mitentwickelt hat. Das 2019 gegründete Unternehmen, das von Berlin Partner und dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) unterstützt und gefördert wird, steht wie kein anderes für die boomende New Space-Industrie in der Brain City Berlin: Innovative private Unternehmen aus Bereichen wie Weltraumtechnik, Erdbeobachtung oder Satellitentechnik, die mit ihren visionären Ideen die Raumfahrt demokratisieren und revolutionieren wollen. Die Ingenieurin Irene Selvanathan ist Gründerin und Geschäftsführerin von Neurospace – und eine der wenigen erfolgreichen Frauen in der Raumfahrtindustrie.

Frau Selvanathan Raumfahrt ist „spacig“ und teuer: Welchen Ansatz verfolgt Neurospace?

Wir verfolgen den sogenannten New Space-Ansatz, der quasi eine schnelle, kostengünstigere Variante zum herkömmlichen Ansatz bietet. Dabei wird beispielsweise auf handelsübliche Komponenten zurückgegriffen. Aber wir nutzen auch viele klassische Ansätze, da der Mond beispielsweise durch seine hohe Strahlungsintensität und geringe Schwerkraft eine besondere Herausforderung darstellt und man hier auf Zuverlässigkeit setzen muss. Neurospace baut robotische Systeme für die Raumfahrt: kleine Rover für den Mond, die modular, flexibel und vor allem kostengünstig sind. Sie sollen in Schwärmen arbeiten und Wissenschaft und Industrie beispielsweise bei der Erkundung des Mondes und dem Aufbau einer Mondbasis unterstützen. Wir nehmen an Weltraummissionen teil, um unsere Systeme zu qualifizieren. Eine besondere Gelegenheit ergab sich 2023. Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) fragte bei uns im Auftrag der NASA an: Wie hatten 24 Stunden Zeit, um ein Konzept für einen Satelliten zu entwickeln, der auf Artemis-Mission gehen sollte. Eine Chance, die wir natürlich sofort ergriffen. 2025 werden wir unsere Elektronik auf der NASA-Mission Artemis 2 in einem Satelliten namens „Tacheles“ testen.

Wie entstand die Geschäftsidee von Neurospace? 

Ursprünglich wollten wir Kommunikationsmodule für den Mond entwickeln, die man zum Beispiel auf Satelliten, Rover oder Landemodule montieren kann. Dabei stellten wir fest, dass die existierenden Trägersysteme sehr verschlossen sind, insbesondere die Rover. Offene Systeme und Standards sind jedoch enorm wichtig, da sie den Nutzern die Möglichkeit bieten, eigene Ideen für Anwendungen schneller umzusetzen. Ein wichtiges Beispiel sind die nur zehn Zentimeter großen CubeSats-Satelliten. Als einfache Standardisierung ermöglichen sie es, Nutzlasten wie Forschungsinstrumente schnell anzupassen. Die CubeSats sind zu regelrechten Experimentalplattformen geworden, die auch kommerziell genutzt werden. Genau diese Idee wollten wir auch für die Rover umsetzen. Wir entschieden uns kurzer Hand, eigene Rover zu bauen.

Was ist das Besondere an dem HiverR Rover?

HiveR kommt von „hive“, dem englischen Wort für Bienenstock. Der Rover arbeitet im Schwarm. Ein größerer Rover, die HiveR-Queen, hat mehr Energie und übernimmt die Kommunikation und Koordination. Sie koordiniert mehrere Rover, die über unterschiedliche Eigenschaften verfügen. Darunter HiveR-Drones, die mit sehr guten optischen Systemen zur Kartographie, für Erkundungen, mit Spektrometern für Messungen und LiDAR-Sensoren ausgestattet sind. Dann gibt es noch die HiveR-Worker. Diese sind beispielsweise mit Roboterarmen ausgestattet, um Arbeiten auszuführen, Proben zu nehmen oder andere Rover zu unterstützen. HiveR ist also eine Plattform, mit der wir am Ende die gesamte Kette von Arbeiten bis hin zum Transport übernehmen wollen. Den Fokus haben wir dabei vor allem auf Search-and-Rescue Missionen gesetzt. HiveR sind schneller als bislang existierende Rover, und sie werden aktuell für autonomes Fahren trainiert.

Wen wollen Sie mit dem HiveR ansprechen?

Bergbauunternehmen, Bauunternehmen, Energieversorger, Kommunikationsunternehmen, Raumfahrtunternehmen, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, Enthusiastinnen und Enthusiasten. Kurzum: Alle, die Erkundungen auf dem Mond machen wollen. Wir haben bereits erste Kunden aus der Wissenschaft und Forschung, darunter einige Institute. Inzwischen interessieren sich auch Unternehmen aus den Bereichen Bergbau, Konnektivität und Mobilität für uns.

Sie selbst haben an der TU Berlin studiert. Inwiefern profitieren Sie heute von Ihrer wissenschaftlichen Ausbildung?

Im Grunde war mir damals noch gar nicht klar, was ich machen oder werden wollte. Und auch wenn ich es mir anfangs nicht zutraute, habe ich dennoch Elektrotechnik studiert. Damit konnte ich in jede Branche gehen, aber ich wollte auch immer schon in die Raumfahrt. Per Zufall bin ich dann bei Raumfahrt-Start-ups gelandet und habe deren Dynamik kennengelernt. Nach einigen Jahren entschied ich mich, selbst diesen Weg zu gehen. Mein Studium hat mir dabei sehr geholfen. Als Elektrotechnikerin war ich universell einsetzbar. Zusätzlich hatte ich Kurse in Wirtschaft und Qualitätsmanagement belegt, das machte das Umdenken etwas leichter.

Wie setzt sich Ihr Team zusammen?

Unser Team besteht aus vielen Ingenieuren, darunter auch einige von der Technischen Universität Berlin, wie Luft-und Raumfahrtingenieure, Mechaniker und Informatiker. Wir haben bei uns aber auch ungewöhnliche Kombinationen, die etwa Biologie und Neuronale Netze zusammenbringen oder Wirtschaft und Marketing.

Sind wissenschaftliche Einrichtungen wie die TU Berlin aktuell in die Entwicklungsarbeit von Neurospace eingebunden?

Wir wurden von Beginn an von der TU Berlin sehr gut unterstützt. Ganz vorne dabei: das Institut für Luft- und Raumfahrt, geleitet von Prof. Dr.-Ing. Enrico Stoll und das Institut für Werkzeugmaschinen und Fabrikbetrieb mit Prof. Dr.-Ing. Julian Polte. Das liegt vor allem an unserem außergewöhnlichen und vielfältigen Thema. Unsere Technologie erfordert viele Disziplinen, darunter Elektrotechnik, Mechanik, Materialwissenschaften und Programmierung – von Embedded Software Engineering über UI/UX-Entwicklung bis hin zu den Themen Neuronale Netze und KI.

Welche Eigenschaften sollten Gründende mitbringen, um aus der Wissenschaft heraus erfolgreich ein Start-up auf den Weg zu bringen? 

Wichtig ist es, sowohl das Produkt als auch dessen Markt richtig einzuschätzen. Das, was wir machen, nennt man „Deep Tech“. Wir arbeiten an Hard- und Software. Dies setzt eine längere Entwicklungszeit voraus. Bis man damit Geld generiert, ist man auf geduldige Investoren angewiesen. Doch diese Geduld kann sich lohnen. Wir verkaufen jetzt bereits Produkte, die auch auf der Erde nutzbar sind. Und einige unserer Kunden überlegen, weiter mit uns zu gehen – in Richtung Mond.

Was waren die bisher größten Herausforderungen bei und nach der Gründung von Neurospace?

Am Anfang hat mich die Coronapandemie mein Gründerteam gekostet, die nächste Herausforderung war die Finanzierung. Mit unserem Thema tun sich Investoren schwer, weil es sehr komplex ist. Wenige Investoren sind bereit, sich etwas tiefer in die Thematik einzuarbeiten. Das ist schade, denn wir sind innerhalb von drei Jahren schnell vorangekommen und verzeichnen bereits Umsätze. Dies für ein Deep-Tech-Start-up eher ungewöhnlich.

Warum ist Berlin ein guter Standort für ein Start-up wie Neurospace?

Ich bin seit hier 1985 aufgewachsen und habe gesehen, wie schnell die Stadt sich verändert hat. Berlin ist einfach ein toller Standort mit so vielen Möglichkeiten. Wir haben hier mehr als 80 Raumfahrt-Start-ups, was schon klasse ist. Man kennt man sich und unterstützt sich gegenseitig. Es gibt in Berlin außerdem viele unterschiedliche Bezirke und somit auch für jede und jeden den passenden Ort. Die Stadt ist inzwischen auch sehr international. Das ist wichtig, denn auch die Wirtschaft wird immer internationaler, ebenso wie die Teams. Auf Englisch zu kommunizieren, ist in Berlin kaum noch ein Problem. Das erleichtert den Zugang zu Firmen weltweit. Und mit der steigenden Anzahl von Firmen, die sich hier niederlassen, steigen auch die Möglichkeiten für Start-ups wie dem unseren, sich schnell zu vernetzen.

Welche Vision haben Sie für Neurospace – und wo soll das Unternehmen in fünf Jahren stehen?

Wir wollen der Industrie die Möglichkeit geben, sich auf dem Mond anzusiedeln und die Besiedelung des Mondes vorantreiben. Das wird auch der Menschheit helfen, denn es werden neue Technologien und neue Forschungsgebiete entstehen. Die Erforschung des Mondes kann außerdem wertvolle Kenntnisse über unsere Entstehung und mögliche Ereignisse in der Zukunft liefern. Unsere Rover sollen vielfältig eingesetzt werden, auch auf der Erde. Es gibt noch so viel zu entdecken. Man hat mit dem Mond endlich einen Referenzkörper für Vergleichsmessungen. Gleichzeitig lernen wir, in einer rauen Umgebung zu überleben. Wir wollen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler und Industrie zum Mond bringen. Das heißt konkret: In fünf Jahren möchten wir einen kleinen Schwarm unserer Rover auf dem Mond fahren sehen. Und wir wollen in Europa führend sein in dem, was wir machen. (vdo)

 

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