• Klangkünstler Hannes Hoelzl mit dem von ihm entwickelten SomBat

    Mit den Ohren sehen

Fledermäuse hören und kommunizieren in Frequenzen jenseits unserer akustischen Wahrnehmung. Im Flug stoßen sie Schreie im Ultraschall-Bereich aus und orientieren sich anhand des Echos, das sie mit ihren trichterförmigen Ohren auffangen. Hannes Hoelzl, Klangkünstler und Dozent für Generative Arts/Computational Arts an der Universität der Künste in der Brain City Berlin hat mit dem SomBat ein Instrument entwickelt, das Menschen darin trainiert, sich per Gehör im Raum zu orientieren.

“Puiiii, puiii, puii. Tock, tock, tock, tock. TOCK!“ Im Stakkato schießen Töne aus dem trichterförmigen Megafon des „SomBat“ hervor. Mal laut, mal leiser, mal tiefer, mal höher. Sie bewegen sich durch den steinernen Innenhof, werden winklig an Fensterfacetten abgelenkt und hallen schließlich von Mauern und Wänden als Echo zurück. Lauscht man den Tönen eine Weile, entsteht ein räumliches Klangbild im Kopf. Was man sonst primär mit den Augen sieht, „erkennt“ man plötzlich mit den Ohren. Am besten funktioniert das Experiment mit geschlossenen Augen: Mauern, Bäume, Steine, Büsche, ja sogar vorbeifahrende Autos hinterlassen so Sound-Spuren in 3-D, die unser Gehirn zu einem mehrdimensionalen Klangbild zusammensetzt. Damit wir sie auch hören können, sind die Klänge, die das Gerät von sich gibt, langwellig und tief.

„Man kann das SomBat als künstlerisches Projekt betrachten, als Musikinstrument“, sagt Hannes Hoelzl, der das Gerät entwickelt hat, „aber für mich ist es tatsächlich eher ein Apparat, mit dem wir unsere Hörwahrnehmung trainieren können. Um den Raum – ähnlich wie bei der Fledermaus – über das Gehör abzubilden.“ Hannes Hoelzl ist Klanginstallationskünstler, elektronischer Komponist und Dozent für Generative Arts/Computational Arts an der Universität der Künste Berlin (UdK Berlin). Mit Fledermäusen hat er sonst wenig zu tun. Aber ein Besuch des Berliner Atonal-Festivals brachte ihn 2017 auf die Idee, ein Instrument zu entwickeln, das die „SonDols“ (Sonic Dolphins) konzeptionell weiterdreht, die der amerikanische Avantgarde-Komponist und Experimental-Pionier Alvin Lucier in seinem Stück „Vespers“ einsetzte. Diese Geräte aus den 1960er-Jahren gaben elektronisch produzierte Klick-Geräusche von sich, um mit Delfinen zu kommunizieren – was damals sehr dem Zeitgeist entsprach. „SomBat ist universeller. Man kann damit unterschiedliche Klänge modulieren und diese in eine bestimmte Richtung schießen“, erläutert Hoelzl. Und das funktioniert über einen kleinen, holzverschalten Klangcomputer, an dem ein Megafon-Lautsprecher befestigt ist. Auslösen und variieren lassen sich die Töne über Tasten und einen Joystick.

Wie Fledermäuse, Wale, Delfine und Robben

Die Fledermaus-Metaphorik war beim SomBat von vornherein Teil des Konzepts. „Fledermäuse stehen stellvertretend für Lebewesen, die sich akustisch über ein Echo-Ortungssystem orientieren – wie Delfine, Wale oder auch Robben“, so Hoelzl. Im Gegensatz zum Menschen, der ausschließlich relativ tiefe Töne mit Frequenzen bis maximal 20 Kilohertz hören kann und damit akustisch recht abgestumpft durch’s Leben geht, vernimmt die Fledermaus sehr hohe Töne im Ultraschallbereich. Das reicht bei ihr bis zu 100 Kilohertz. Und sie kann derart hohe Rufe auch ausstoßen. „Fledermäuse haben dadurch akustisch eine viel feinere räumliche Auflösung und können auch millimetergroße Objekte in ihrer Umgebung wahrnehmen – wie beispielsweise Insekten. Beim Menschen hingegen liegt die höchste akustische Auflösung im Zentimeter-Bereich. Und das auch nur in jungen Jahren“, erläutert Hoelzl. Die großen Ohren der Fledermäuse ergänzen ihr Orientierungssystem perfekt, denn sie dienen als Schalltrichter.

Um Menschen im räumlichen Hören zu trainieren – und damit im akustischen Sehen – veranstaltet Hannes Hoelzl sogenannte „Sound Walks“. Dabei bewegt er sich mit dem SomBat durch unterschiedlichste Umgebungen und sendet dabei über den Trichter in schneller Folge Klänge und Geräusche auf Ecken, Kanten, Rundbögen und Mauern. Je höher die Töne, desto zielgerichteter sind sie und an umso kleineren Oberflächen können sie reflektieren. Je tiefer der Klang, desto kugelförmiger breitet sich die Schallwelle aus.

Künstlerische Forschung: Wichtig sind Handlungen und Erfahrungen

Bei den Sound Walks mit dem SomBat geht es vor allem um das Erleben. „Durch dieses extrem vereinfachte Experiment erhält man eine deutliche Vorstellung davon, wie komplex die Orientierung der Fledermaus ist. Sie bewegt sich ja nicht nur selbst sehr schnell und taumelnd durch den dreidimensionalen Luftraum, auch ihre Beutetiere sind schnell und taumelnd unterwegs. Außerdem muss sie Gegenständen und Feinden ausweichen“, erklärt Hannes Hoelzl. Die SomBat-Performance ist damit zugleich ein plastisches Beispiel für Generative Kunst, wie sie am Institut für zeitbasierte Medien an der UdK Berlin erforscht und gelehrt wird. Eine Kunstform, bei der nicht das Produkt, sondern der Prozess im Mittelpunkt steht. Auch mediale Dokumentationen, wie in der naturwissenschaftlichen Forschung üblich, lehnt diese Form des künstlerischen Schaffens ab. „Videoaufnahmen beispielsweise würden den Prozess schließen und damit beenden“, so Hoelzl und ergänzt: „Künstlerische Forschung hat ähnliche Absichten wie die naturwissenschaftliche Forschung, aber sie nutzt andere Methoden. In der naturwissenschaftlichen Forschung sind Experimente möglichst nachvollziehbar, und sie werden meist in geschlossenen Systemen durchgeführt. Das Ergebnis wird anschließend dokumentiert und publiziert. Was wir machen, verläuft in relativ autonomen Prozessen und manifestiert sich beispielsweise in Handlungen und individuellen Erfahrungen.“

Mit Fledermausforscherinnen oder -forschern Kontakt aufzunehmen ist dennoch einer der nächsten Schritte, die Hannes Hoelzl im Rahmen des Projekts SomBat geplant hat: „Berlin ist für interdisziplinäre Vernetzungen der ideale Ort. Egal in welcher Sparte – man findet hier überall gute und interessante Leute, mit denen man kreativ zusammenarbeiten kann. Die Stadt zieht sie magnetisch an. Man kann hier immer eine Community ansprechen.“

Der Sound Walk neigt sich dem Ende zu. Die Klänge des SomBat, die immer wieder durch den Außenraum hallten, haben einige Neugierige an die Fenster gelockt. Vielleicht ist auch in ihren Köpfen jetzt ein Klangbild entstanden – und sie sind damit Teil des Experiments geworden. Wir werden es wohl nie erfahren. Auch das ist Teil des Konzepts. (vdo)

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