• Blick aus Fenster auf Campus Wilhelminenhof der HTW Berlin, Brain City Berlin

    Generative KI in Forschung und Lehre stärken

Die KI-Werkstatt der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin (HTW Berlin) bündelt die Kompetenzen der Hochschule interdisziplinär, um den Einsatz von KI praxisnah zu erforschen. Davon profitieren lokale KMU und Start-ups, vor allem aber Forschung und Lehre. Denn Studierende sind in jedes Projekt von Anfang an eng eingebunden. Prof. Dr. Christina Kratsch, Professorin für Künstliche Intelligenz und Software Engineering an der HTW Berlin, erläutert, wie die KI-Werkstatt potenzielle Anwendungen in Unternehmen sondiert und diese in der Umsetzung begleitet. Und sie erzählt, was das Projekt besonders macht.

„Die KI-Werkstatt umfasst eigentlich drei Dinge“, sagt Prof. Dr. Christina Kratsch. „Erstens ist sie ein Showroom, in dem man sich Demonstratoren zum Thema Künstliche Intelligenz ansehen und mit KI-Expertinnen und -Experten ins Gespräch kommen kann. Zweitens ist sie viel Technik: Ein großes Rechencluster, das wir an der Hochschule, aber auch in Zusammenarbeit mit Unternehmen nutzen können. Und Drittens ist die KI-Werkstatt ein sehr loses, kreatives, manchmal etwas chaotisches, aber immer gut funktionierendes Netzwerk von Menschen, die an der HTW Berlin irgendetwas mit KI machen.“

Christina Kratsch ist eine dieser Personen. Seit 2022 arbeitet sie als Professorin für Künstliche Intelligenz und Software Engineering an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin. Und ebenso lange ist sie Teil des interdisziplinären Werkstatt-Teams, dem der Kommunikationsdesigner und Medienkünstler Prof. Andreas Ingerl ebenso angehört wie der Game Designer und Brain City Botschafter Prof. Thomas Bremer, Machine-Learning-Spezialist Prof. Dr. Erik Rodner oder die Wirtschaftsinformatikerin Prof. Dr. Katharina Simbeck, die sich in ihrer Forschung mit den Auswirkungen von Künstlicher Intelligenz auf Bildung, Personalwesen und Gesellschaft beschäftigt. „Ich fokussiere mich auf spannende Anwendungsfälle“, erläutert Christina Kratsch. „Unternehmen kommen zu uns und fragen: Was machen wir jetzt mit der KI? Und welchen Mehrwert kann sie uns bieten?“

Zu erforschen, wo und wie KI-Technologie in der Praxis lösungsorientiert zur Anwendung gebracht werden kann, ist bereits seit dem Start im Jahr 2021 die Zielsetzung des vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Hochschul-Projekts. Vor allem aber stehen in der KI-Werkstatt die Lehre und das Lernen im Vordergrund, wie Christina Kratsch betont. „Wir möchten alles, was in der Welt mit KI passiert – sei es in Kunst, Gesellschaft oder Wirtschaft – irgendwie bündeln und als praxisnahe, spannende Projekte in die Lehre bringen.“

Einführung von generativer KI im Vier-Phasen-Modell

Ideen für Projekte zu finden, ist für das Team kein Problem. „Lehrveranstaltungen an der HTW Berlin finden fast immer in Kooperation mit Unternehmen statt. Meist sind dies Berliner Mittelständler. Ich staune immer, was für hochkomplexe Produkte lokal hergestellt werden. Die meisten dieser Unternehmen sind in Sachen Digitalisierung bereits recht weit. Sie sind auch sehr innovationsfreudig. Viele stehen aber vor der Frage, wie sie generative KI sinnvoll einsetzen können.“ Um potenzielle Use Cases zu sondieren, besucht Christina Kratsch gemeinsam mit ihrem Werkstatt-Kollegen, dem Wirtschaftsinformatiker Prof. Dr. Stefan Wittenberg die Unternehmen gern vor Ort. Denn dort können sie Machbarkeit, Forschungs- und Entwicklungspotenzial besser sondieren. Kommt ein Projekt ins Laufen, folgt der Prozess einem Vier-Phasen-Modell zur Einführung generativer KI in Unternehmen, das Stefan Wittenberg entwickelt hat. Es unterstützt KMU bei der Identifikation von Use Cases, der betriebswirtschaftlichen Bewertung, der Auswahl einer technischen Lösung, der Pilotierung industriespezifischer Anwendungen bis hin zur Skalierung. In der ersten „Discovery-Phase“ werden potenzielle Anwendungs-Szenarien zunächst sowohl aus den Daten des Unternehmens – z. B. aus Prozess- und Stellenbeschreibungen – und top-down aus der Management-Perspektive heraus abgeleitet. Zusätzlich bringen Mitarbeitende im „Bottom-up“-Prinzip konkrete, aus dem Tagesgeschäft abgeleitete Optimierungsideen in den Prozess mit ein. Diese werden anschließend in Ideation-Workshops gemeinsam mit Fachleuten priorisiert, bewertet und validiert. Zum Abschluss dieser Scoping-Phase“ wird eine KI-Roadmap für die Top-Anwendungsfälle für das Unternehmen erstellt. Lehrende und Studierende der KI-Werkstatt begleiten das Unternehmen auch während der folgenden „Piloting-Phase“. Skalierung, Roll-out, Monitoring und eventuelle Anpassungen übernimmt das Unternehmen dann schließlich in der vierten „Scaling-Phase“ selbst. Die KI-Werkstatt unterstützt aber auf Anfrage bei der Schulung von Mitarbeitenden oder dem Aufbau von Teams und berät beispielsweise in Sicherheits- oder Ethikfragen.

Ein erfolgreich durchgeführtes Praxisbeispiel ist Finetech: Das auf Verbindungstechnik spezialisierte, weltweit operierende Maschinenbauunternehmen wandte sich an die KI-Werkstatt der HTW Berlin mit dem strategischen Anliegen, KI in seine Prozesse zu integrieren. „Finetech war digital bereits sehr gut aufgestellt und verzeichnet ein hohes Wachstum“, erläutert Christina Kratsch. „Das Team um unseren Kollegen Stefan Wittenberg hat den Prozess dann von vorn bis hinten analysiert und eine KI-Roadmap erstellt. Diese wurde mit unserer Datenbank in Bezug auf KI-Anwendungsmöglichkeiten abgeglichen und Matchpoints definiert. Wir haben das Unternehmen auch bei der Priorisierung, Bewertung und Auswahl der generativen KI begleitet – und sogar bei der Umsetzung.“ Studierende waren eng in den Prozess eingebunden. Bei der Auswahl der Themen konnten sie ihre persönlichen Stärken und Vorlieben einbringen. Kratsch: „Innovationsprozesse  definieren und einschienen – so etwas kann man an der Hochschule sehr gut machen.“

Offenheit und Innovationsbereitschaft ­

Als Konkurrenz für IT-Dienstleister und Beratungsunternehmen versteht sich die KI-Werkstatt der HTW Berlin allerdings nicht. „Wir fußen ja nicht auf einem Businessmodell, sondern suchen ausschließlich nach forschungsstarken Themen“, so Kratsch, die vor ihrer Zeit an der HTW Berlin selbst als Beraterin und Forschungsleiterin im Bereich Big Data Analytics gearbeitet hat. „Unsere Themen wären für Beratungsunternehmen auch zu prototypisch. Primäres Ziel ist immer eine gute Lehre für die Studierenden.“ Berührungsängste seitens der Unternehmen gegenüber der Implementierung von KI beobachtet Christina Kratsch inzwischen kaum noch. „Das liegt vermutlich an der allgemeinen Dynamik. Generative KI kann inzwischen jeder auf einer individuellen Ebene sofort ausprobieren. Bei der immer noch sehr wichtigen klassischen KI – also Mustererkennung, Vorhersage, Clustering etc. – sah das vor fünf bis zehn Jahren noch ganz anders aus. Im Vergleich dazu erlebe ich insbesondere mittelständische Unternehmen heute als sehr offen.“ Allerdings sei die digitale Infrastruktur vieler KMU nach wie vor nicht sauber aufgestellt – Grundvoraussetzung für den mehrwertorientierten Einsatz von generativer KI.

Die Brain City Berlin, in der sie seit rund drei Jahren zu Hause ist, erlebt Christina Kratsch als ausgesprochen innovations- und gründungsfreundlich. „Ich habe nur in wenigen Städten eine so große Offenheit für Experimente und Neues erlebt. Es gibt hier viele hochinnovative Mittelständler, die aufgeschlossen gegenüber KI-Forschungsthemen sind.“ Intensiv nutzt das Team der KI-Werkstatt auch die enge wissenschaftliche Verflechtung am Standort. „Wir arbeiten beispielsweise mit der GFaI Gesellschaft zur Förderung angewandter Informatik in Berlin Adlershof zusammen“, so Kratsch. Ein weiterer Vorteil der Stadt: Es gibt hier viele junge Menschen, die etwas lernen und bewegen wollen.“

KI auch hochschulintern zum Einsatz bringen

Den Forschergeist und die Lernbegeisterung der Studierenden nutzt das Team der KI-Werkstatt, um hochschulintern die Implementierung und das Verständnis für Künstliche Intelligenz voranzubringen: durch Bereitstellung von Wissensmodulen für die Lehre, aber auch durch die fächerübergreifende Vermittlung von KI-Kompetenzen – von den Grundlagen über ethische Fragen bis hin zu forschungsnahen Vertiefungen. Ein strategisch besonders spannendes Projekt wurde vom heutigen Kanzler der HTW Berlin, Prof. Dr. Tilo Wendler angestoßen: Seit 2024 ist hochschulintern ein Chatbot im Einsatz, der von Florian Dewes, wissenschaftlicher Mitarbeiter in der KI-Werkstatt entwickelt wurde. Studierenden beantwortet der KI-Assistent rund um die Uhr Servicefragen – etwa zu Fristen, Dokumenten oder Ansprechpersonen. Bei Bedarf werden sie gezielt an zuständige Stellen weitergeleitet. KI und persönliche Beratung ergänzen sich hier perfekt. Arbeitsprozesse werden insbesondere bei Belastungsspitzen wie zu Semesterbeginn verschlankt.

Rund vier Jahre existiert die KI-Werkstatt der HTW Berlin inzwischen. Die ursprünglichen Gründer ziehen eine positive Bilanz: „Die enge Zusammenarbeit mit der Hochschulleitung und vielen engagierten Berliner Forschungspartnerinnen und -partnern haben die Werkstatt zu einem zentralen Ort für praxisnahe KI-Bildung und Transfer werden lassen.“ Trotz aller Erfolge sind die Aussichten für das Projekt allerdings nicht ungetrübt. Denn die Infrastruktur der KI-Werkstatt entstand aus einem drittmittelfinanzierten Forschungsprojekt, das noch in diesem Jahr ausläuft. „Für den zukünftigen Weiterbetrieb der Systeme auf aktuellem Stand und die technische Unterstützung neuer Projekte fehlt derzeit in Teilen noch das Geld“, so Christina Kratsch. Die Hochschulleitung der HTW und das Team der Werkstatt arbeiten derzeit aktiv an einer nachhaltigen Lösung. Angesichts der aktuellen Berliner Finanzsituation keine leichte Aufgabe.

Text: Ernestine von der Osten-Sacken 

Mehr Informationen

Werkstattgespräche der KI-Werkstatt an der HTW Berlin

Wer die KI-Werkstatt kennenlernen möchte, kann gern dort vorbeikommen. Ab Anfang Juni starten die Werkstattgespräche für Entscheiderinnen und Entscheider aus Wirtschaft und Innovation. Die Teilnahme ist kostenlos.

Mittwoch, 4. Juni 2025  
17:30 Uhr bis 21:30 Uhr 
HTW Berlin, Campus Wilhelminenhof, Gebäude C, Co-Working Space, Wilhelminenhofstr. 75A, 12459 Berlin   
Anmeldung

KI-Werkstatt der HTW Berlin

Prof. Dr. Christiana Kratsch, Professorin für Künstliche Intelligenz und Software Engineering an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin. (© HTW Berlin/Alexander Rentsch)

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