• Screenshot aus der VR-Übung "Mozzarella-Versuch" der BHT.

    Spielerisch lernen im virtuellen Biolabor

In den MINT-VR-Labs an der Berliner Hochschule für Technik arbeitet ein interdisziplinäres Team an didaktischen Konzepten für virtuelle Labore und Übungen. Zehn fachlich unterschiedliche Themen werden derzeit in Anwendungen realisiert. Die Virtuelle Realität soll die Präsenzlehre dabei nicht ersetzen, sondern sie ergänzen.

Zwei blau behandschuhte Hände schweben durch den Raum. Sie steuern auf einen Labortisch zu. Seitlich im Bild erscheint eine Anweisungstafel. Die rechte Hand ergreift ein mit Milch gefülltes Laborglas und schüttet den Inhalt in ein zweites Glas mit Kochsalzlösung. Die Mischung stellt sie anschließend in eine Zentrifuge. Das Besondere an dieser Übung zur Herstellung von Mozzarella-Käse ist nicht der Prozess an sich, sondern das Set-up. Die Studierende befindet sich nämlich nicht in einem realen Biotechnologie-Labor, sondern in einem ganz normalen Büro. Außerdem trägt sie keine Schutzbrille, sondern eine VR-Brille und bewegt sich damit noch etwas tapsig durch den realen Raum. Willkommen in den MINT-VR-Labs der Berliner Hochschule für Technik!

Im Sommer 2021 ging das von der Stiftung „Innovation in der Hochschullehre“ im Rahmen eines bundesweiten Wettbewerbs für digitale Lehre geförderte Projekt an den Start. Ansatz der MINT-VR-Labs an der BHT: die Möglichkeiten virtueller Labore konsequent mit digitalen Lehr- und Lernkonzepten zu verknüpfen und möglichst breitflächig in der Hochschule zur Anwendung zu bringen. Der „Mozzarellaversuch - Biotechnologische Verfahren in der Produktion” ist nur eine von inzwischen vier bereits realisierten virtuellen Übungen. Zehn sollen es insgesamt werden.

„Unser Ziel ist es, Übungen aus möglichst vielen Fachbereichen zu implementieren“, erläutert Prof. Dr. Joachim Villwock, einer der Projektleiter des achtköpfigen MINT-VR-Labs-Teams. „Dabei geht es uns zum einen darum, die Präsenzlehre durch Virtuelle Realität und Augmented Reality zu ergänzen und dadurch gleichzeitig auch die didaktische Qualität der Lehre zu steigern. Zum anderen versuchen wir, die Heterogenität des Vorwissens der Studierenden über virtuelle Übungen aufzufangen.“ Denn in der Mathematik beispielweise sind die Wissensgrundlagen der Studierenden heute auf recht unterschiedlichem Niveau angesiedelt, was aktuelle Studien belegen. Virtuelle Lernumgebungen könnten abstrakte mathematische Konzepte erleb- und begreifbarer machen, insbesondere wenn sie mit spielerischen Ansätzen verknüpft sind. Villwock: „Wichtig ist, wir wollen die Laborarbeit an der Hochschule nicht ersetzen. Es geht uns um den Zusatznutzen. Die BHT ist ja eine anwendungsorientierte Hochschule.“

Didaktik kommt vor Technik

Zu den vier Übungen, die das VR-Labs-Team bereits realisiert hat, gehört neben dem Mozzarella-Versuch eine virtuelle Belastungsanalyse, mit der angehende Theatertechnikerinnen und -techniker ausprobieren können, welche Gewichte ein Balken an welcher Stelle aushält. In einem weiteren Modul werden Funktionen von zwei Variablen anschaulich im dreidimensionalen Raum in Form von Flächen dargestellt. Studierende der Ingenieurswissenschaften sollen dadurch eine bessere Vorstellung von abstrakten mathematischen Zusammenhängen bekommen. In der vierten Anwendung erhalten angehende Informatikerinnen und Informatiker in einer virtuellen Pizzabäckerei einen immersiven Einblick in Grundprinzipien des Programmierens.

Ausgewählt wurden die Themen für die einzelnen Übungen vom Team der MINT-VR-Labs anhand von Konzepten, die interessierte Dozierende der BHT bei ihnen einreichten. „Es muss ein didaktisches Konzept dahinterstecken. Wir stimmen dann innerhalb des Teams ab, ob der jeweilige Vorschlag Sinn ergibt. Dann priorisieren wir die Module“, so Joachim Villwock. Dass das MINT-VR-Labs-Team interdisziplinär zusammengesetzt ist, hilft bei der Entscheidung. „Wir decken im Team die fünf wichtigen Themenbereiche Didaktik, Informatik, Biologie, Ingenieurwesen und Evaluation ab.“

Die Entwicklung und Umsetzung der Anwendungen erfolgt anschließend in enger Zusammenarbeit mit einem externen Dienstleister. Auch das Human.VR.Lab an der BHT unterstützt das Team mit Wissen und Erfahrung. Wenn die einzelnen Module dann schließlich in der Lehre zum Einsatz kommen, werden sie in einem fest definierten Prozess immer wieder evaluiert und angepasst. Ein wesentlicher Punkt dabei: Didaktik kommt vor Technik. Denn auch High-End-Technologie wie VR-Headsets, Hand- und Body-Tracking oder Augmented-Reality-Lösungen nützen nichts, wenn die Studierenden damit nicht zurechtkommen. „Mache Anwenderinnen und Anwender sind kognitiv davon überlastet. Wenn Studierende sich im virtuellen Raum bewegen, tritt außerdem häufig Motion Sickness (Simulationsübelkeit, Anm. d. Red.) auf“, weiß Dr. Evelyne Becker zu berichten, Biologin und Projektkoordinatorin des VR-Labs-Teams. Sie ergänzt: „Die Betreuung der Studierenden bei der Anwendung von VR ist daher sehr zeitintensiv. Es ist wichtig, dass sie mit einer klaren Anleitung durch die verschiedenen Level begleitet werden.“

Methoden-Mix in der Evaluation

Haben sich die Studierenden in die VR-Module erst einmal eingefühlt und eingearbeitet, stellt sich der erhoffte spielerische Nutzen durchaus ein. Das ist das Ergebnis erster Evaluationen, die das Team der MINT-VR-Labs durchführte: So wurden im Rahmen einer quantitativen Evaluation zwei Anwendergruppen im Fach Mathematik befragt. Die eine arbeitete mit der VR-Anwendung, die andere mit einer digitalen Anwendung, in der die Funktionen auf einem zweidimensionalen Bildschirm dargestellt werden. In einer weiteren, qualitativen Evaluation verwendete das Team „Think-Aloud-Protokolle“, bei der die Studierenden laut kommentierten, was sie taten und dachten, während sie die VR-Anwendung benutzten. Als zweite qualitative Methode wurden sogenannte Rating-Konferenzen durchgeführt: Die Teilnehmenden bewerteten die VR-Anwendung dabei zunächst anhand eines Fragebogens, welcher anschließend in einem gemeinsamen, strukturierten Gespräch mit dem Team vertieft wird.

Die bisherigen Evaluations-Ergebnisse bestätigen einige der Hypothesen des VR-Labs-Teams: Den virtuellen Mozzarella-Versuch befanden deutlich mehr als die Hälfte der Befragten als hilfreich, rund drei Viertel hatten viel Spaß bei der Sache. Bei der Mathematik-Anwendung bewertete die Mehrzahl der Befragten die VR-Übungen als nützlicher und interessanter als die nicht-immersive Software-Anwendung. Auch schätzte die VR-Gruppe ihre Fähigkeiten hinterher höher ein als die klassisch arbeitende Kontrollgruppe. Zu beachten ist allerdings, dass die befragten Anwendergruppen aufgrund der HAW-typischen geringen Kursgröße recht klein waren.

Wie geht es weiter mit den MINT-VR-Labs an der BHT?

Derzeit erwartet das Projekt „Interaktive Lehre in virtuellen MINT-Laboren“ eine Verlängerung der Förderphase durch die „Stiftung Innovation in der Hochschullehre“, wodurch eine Finanzierung bis Ende 2025 abgesichert wäre. Diese Zeit will das Team dazu nutzen, bisher Erarbeitetes zu verstetigen und zu konsolidieren. Neue Module sollen erarbeitet werden – so etwa eine Anwendung, mit der die Studierenden kollaborativ eine Fabrik planen können. Ein Augmented-Reality-Modul ist ebenfalls angedacht. Auch der Austausch im Netzwerk der MINT-VR-Labs, dem internationale und nationale Universitäten und Hochschulen wie die US-Partner-Hochschule Technical College of New Jersey, die University of Georgia, die Hochschule München, die HTW Berlin und die TU Dortmund ebenso angehören wie erste Unternehmenspartner, soll intensiviert werden. Dabei geht es nicht nur um Wissensaustausch, sondern auch darum, die erarbeiteten Konzepte auf andere Bereiche in Wissenschaft und Wirtschaft zu übertragen. Der Gedanke einer Open Education Resource sei dem Team sehr wichtig, so Joachim Villwock.   

„Vor allem aber soll das VR-Lab über den Förderzeitraum hinaus dauerhaft auch räumlich an der Berliner Hochschule für Technik und in der Brain City Berlin verortet werden”, sagt Projektleiter Prof. Dr. Steffen Prowe, „damit Studierende künftig in der Gruppe oder auch allein im virtuellen Raum lernen können.“ Und Evelyne Becker ergänzt: „Wir möchten außerdem die Fachbereiche an der BHT ertüchtigen, Anwendungen selbst weiterzuentwickeln und Tutorials zu schreiben. Die fachliche Betreuung ist für den erfolgreichen Einsatz von VR in der Lehre extrem relevant“. Das gilt für das mathematische Modell ebenso wie für den Versuch im Biotechnologie-Labor. Doch ob betreut oder nicht: Ein Vorteil ergibt sich in jedem Fall im virtuellen Raum: Es kann nichts kaputt gehen. (vdo)

projekt.bht-berlin.de/mint-vr-labs

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