• Prof. Dr. Emmanuelle Charpentier, Brain City Berlin

    „Grundlagenforschung ist die Basis für Innovationen“

2020 holte Prof. Dr. Emmanuelle Charpentier den Nobelpreis nach Berlin. Zuletzt hatte das die Schriftstellerin Herta Müller geschafft, die 2009 den Nobelpreis für Literatur erhielt. Emmanuelle Charpentier wurde der renommierte schwedische Stiftungspreis in der Sparte Chemie zusammen mit der Amerikanerin Jennifer Doudna verliehen – für eine bahnbrechende Entwicklung: die „Gen-Schere“ Crispr/Cas9. Was hat sich seitdem getan? Mit welchen Projekten beschäftigt sich Emmanuelle Charpentier aktuell? Und welches sind die beruflichen und privaten Ziele der Mikrobiologin, die seit 2018 als Gründungs- und geschäftsführende Direktorin die Max-Planck-Forschungsstelle für die Wissenschaft der Pathogene (MPUSP) leitet? Im Brain City-Interview erzählt sie mehr über ihre Forschung, die Vorteile des Standorts Berlin – und ihre Liebe für Sport und Kultur.

Frau Prof. Dr. Charpentier, einen Nobelpreis erhält man nicht alle Tage. Was hat sich seit 2020 für Sie verändert?

In den drei Monate nach der Nobelpreis-Bekanntgabe im Oktober 2020 wurde ich von Interview-Wünschen und Kontaktanfragen regelrecht überwältigt. Aber das war für mich nichts Neues, denn mein Leben hatte sich bereits seit 2014 verändert – insbesondere von 2015 bis 2019 – durch die weltweite Aufmerksamkeit, die meine CRISPR-Forschungen erhielten und den Hype, der sich sehr schnell darum entwickelte. Bis heute gibt es keinen Tag, an dem sich niemand bei mir meldet. Wahrscheinlich wird das bis zum Ende meines Lebens so bleiben.

2018 gründeten Sie in Berlin die Max-Planck-Forschungsstelle für die Wissenschaft der Pathogene. Zu welchem Zweck?

Das Institut widmet sich der Erforschung der grundlegenden molekularen und zellulären Regulationsmechanismen von pathogenen Bakterien, die Krankheiten in Menschen auslösen. Dabei konzentrieren wir uns auf grampositive Bakterien, insbesondere Streptococcus pyogenes. Wie allgemein bekannt, stellen uns Antibiotika-Resistenzen weltweit vor ein großes Problem, weil konventionelle Antibiotika-Behandlungen keine Wirkung mehr zeigen. Andererseits besteht unser Körper, genauer gesagt unser Mikrobiom, aus „guten“ Bakterien, die eine Schlüsselrolle bei der Regulierung des Immunsystems spielen. Unser Ziel ist es, neue Mechanismen zu entdecken, die uns helfen, besser zu verstehen, wie pathogene Bakterien mit dem menschlichen Wirt interagieren. Sie könnten uns auch zu neuen Behandlungsmethoden für bakterielle Infektionen oder zu neuen Gentechnologien führen. Das hat unsere bisherige Forschung zu Streptococcus pyogenes und CRISPR gezeigt.

Woran forschen Sie gerade?

Unsere Forschung fokussiert sich darauf zu verstehen, wie molekulare und zelluläre Prozesse auf der transkriptionellen, post-transkriptionellen und post-translationalen Ebene durch RNA und Proteine kontrolliert werden. Wir untersuchen dafür regulatorische RNA und Proteine auf unterschiedlichen biologischen Pfaden, etwa im horizontalen Gentransfer, in der Stressadaption, Physiologie, Persistenz, Virulenz, Infektion und Immunität. Im Speziellen erforschen wir Interferenzsysteme, die sich gegen genetische Elemente (CRISPR-Cas) verteidigen, kleine regulatorische RNA, die mit pathogenen Prozessen in Wechselwirkung stehen sowie die Protein-Qualitätskontrolle, welche die Anpassung, Physiologie und Virulenz von Bakterien reguliert. Auch die Grundprinzipien der DNA-Replikation und ihre Rolle für das Leben sowie die Interaktionen von Bakterien und ihren Vesikeln mit der inhärenten Immunität des menschlichen Wirts gehören zu unserem Forschungsgebiet. Für diese Zwecke nutzen wir beim MPUSP einen interdisziplinären Ansatz. Dieser kombiniert bahnbrechende Methoden, um neue Moleküle und Mechanismen zu identifizieren und deren Ursprünge, Funktionen und Wirkungsweisen auf molekularer und zellulärer Ebene zu entschlüsseln.

Warum ist es so wichtig, Grundlagenforschung im Bereich der Biotechnologie und Biomedizin zu fördern?

Es mag trivial klingen, aber ohne Grundlagenforschung kann es keine bahnbrechende Innovation geben. Je mehr sie von Neugier getrieben wird, desto wichtiger ist sie – oder das sollte sie jedenfalls sein. Das Wissen, das durch die Grundlagenforschung gewonnen wird, kommt eines Tages der angewandten Forschung und Innovation zugute. Das gilt insbesondere für die Bereiche Biologie und biomedizinische Forschung. Nehmen Sie die CRISPR-Technologie: Sie wird inzwischen von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern auf der ganzen Welt genutzt und zu innovativen Anwendungen in der Medizin, Landwirtschaft und Biotechnologie weiterentwickelt. Von Anfang an war es mein tiefgreifendes Interesse an der Mikrobiologie – insbesondere an den Mechanismen, die die Genexpression in Bakterien regulieren, – das letztlich zur Entdeckung des erstaunlichen CRISPR-Cas9-Mechanismus geführt hat. Also ja, als Mikrobiologin engagiere ich mich sehr für die Grundlagenforschung. Ich glaube fest daran, dass Grundlagenforschung die Basis für Innovationen ist, und dass Wirtschaft und Gesellschaft davon profitieren.

Warum haben Sie sich für Berlin als „Homebase“ entschieden?

Wie so vieles im Leben einer Wissenschaftlerin war mein Umzug nach Berlin nicht geplant. 2012 wurde ich vom Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung in Braunschweig angeworben – mit einer Alexander-von-Humboldt-Professur an der Medizinischen Hochschule Hannover. Kurz nach meinem Umzug realisierte die Max-Planck-Gesellschaft dann offenbar, dass ich „existiere“ und warb mich 2015 an. So bin ich letztlich in Berlin gelandet!

Welche Vorteile bietet Ihnen Berlin als Ort für Wissenschaft und Forschung? 

Berlin hat zweifellos eine hohe Dichte an Universitäten, akademischen Institutionen und Forschungseinrichtungen. Im Vergleich zu anderen Orten in Deutschland und im Ausland ist dies ein wesentlicher Vorteil. Hinzu kommt: Der Berliner Senat hat Wissenschaft und Forschung in den letzten Jahren unterstützt, da er das für den Wohlstand der Stadt so wertvolle Forschungs- und Innovationspotenzial erkannt hat, auch wenn er noch mehr tun könnte. Das spiegelt sich auch in den Erfolgen der Berliner Universitäten im Rahmen der Exzellenzstrategie des Bundes wider. Mehrere Exzellenz-Cluster, die Berlin University Alliance, die BR50: All diese Strukturen tragen zu einer fruchtbaren Verbindung von Menschen und Institutionen und zu interdisziplinärem Denken bei. Vorausgesetzt, die Forschenden auf allen Ebenen haben die Zeit und die Mittel, um zu interagieren!

Inwiefern profitieren Ihr Institut und Sie selbst von der engen Vernetzung mit anderen Berliner Wissenschaftsinstitutionen?

Zunächst einmal hat die Vernetzung zu mehr Sichtbarkeit geführt, was wichtig ist, wenn man ein junges und sehr kleines Institut leitet wie das MPUSP. Zweitens mündet dieser Austausch recht häufig in interdisziplinärer Arbeit und Kooperationen – und diese wiederum sind starke Triebkräfte wissenschaftlicher Forschung. Unser Standort auf dem Charité-Campus in Berlin-Mitte liegt nicht allzu weit von anderen Institutionen in Berlin entfernt. Dies bietet uns ausgezeichnete Gelegenheit, um uns mit anderen Forscherinnen und Forschern auszutauschen und zu vernetzen.

Ihr Institut hat sich die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses ausdrücklich auf die Fahne geschrieben ...

Der wissenschaftliche Nachwuchs ist der „Treibstoff“, ohne den kein Forschungsinstitut funktionieren und erfolgreich sein kann. Ich leite ein sehr kleines Institut. Die wissenschaftliche Führung besteht lediglich aus drei Personen: Marc Erhardt, Kürsad Turgay und mir. Die Mehrheit unserer Forschenden sind Postdocs, Promotionsstudierende und Studierende. Unser Ziel ist es, ein interaktives, dynamisches und kompetitives Umfeld für unseren wissenschaftlichen Nachwuchs zu schaffen. Ein Umfeld, das sie fortlaufend bei der Durchführung ihrer eigenen Forschungsprojekte unterstützt und ihnen zugleich die Freiheit bietet, an grundlegenden biologischen Fragen zu arbeiten.

Privat interessieren Sie sich sehr für Kunst, Musik und Tanz. Dient Ihnen dieser künstlerische Ausgleich als Inspiration für Ihre Arbeit als Forscherin?

Ich habe mich immer für Kunst, Musik und Tanz interessiert. Aber ich spiele kein Klavier mehr und ich tanze auch nicht mehr – weder Ballett noch zeitgenössischen Tanz. Die Klavier- und Tanzübungen in meiner Jugend haben mir allerdings die Konzepte von Disziplin, Wiederholung, Koordination, Ausdauer und Leistung nahegebracht. Eine ausgezeichnete Grundlage für meine späteren Tätigkeiten im Bereich der wissenschaftlichen Forschung. Leider habe ich heute nur sehr begrenzt Zeit, die Berliner Kunstgalerien und Museen zu erkunden und Konzerte sowie Theater- und Tanzaufführungen zu besuchen. In den letzten Jahren habe ich mich in meiner wenigen Freizeit auf den Sport konzentriert. Das macht mir viel Spaß!

Was ist Ihr persönliches Ziel für 2023?

Das Institut, das ich leite, ist noch recht jung. Um eine nachhaltige Struktur aufzubauen, die es mir erlaubt, mehr Zeit mit der Forschung und den Forschenden in meinem Labor zu verbringen, ist noch viel zu tun. Ich möchte mich außerdem weiter auf den Sport konzentrieren – meine Leistung steigern! Und – nicht zu vergessen – auch ein paar Kulturveranstaltungen besuchen. (vdo)

Mehr Stories