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29.10.2019„Wir müssen es schaffen, jeden auf die Reise mitzunehmen“
Prof. Dr. Andreas Kaplan ist Brain City Berlin-Botschafter und Rektor der ESCP Europe Business School Berlin. In seiner Forschung beschäftigt den Wirtschaftswissenschaftler derzeit vor allem die Frage: „Wie wird sich unsere Gesellschaft durch Künstliche Intelligenz ändern?“ Wir sprachen mit ihm über die Chancen und Risiken von KI, über „Humane Digitalisierung“ – und auch darüber, was Hochschulen in diesem Zusammenhang leisten können.
Prof. Dr. Andreas Kaplan
ESCP Europe Berlin
Wir brauchen kluge Köpfe. Und je internationaler und offener die Stadt ist, desto mehr kluge Köpfe kommen, um hier zu arbeiten. Das hat Berlin einfach geschafft.
Herr Kaplan, die Entwicklung der KI schreitet weltweit rasant voran. Was bedeutet das für unsere Gesellschaft?
Die Gefahren liegen auf der Hand: Von Arbeitslosigkeit in bestimmten Bereichen bis hin zur Manipulation von Wahlen und Destabilisierung von Demokratien. Solche Negativ-Phänomene werden mit der zunehmenden Entwicklung von Künstlicher Intelligenz sicherlich noch ausgeprägter werden. Positiv betrachtet erleichtert uns KI heute bereits vieles im Leben. Sie kann auch Arbeitsplätze schaffen und Arbeiten verrichten, für die zunehmend weniger menschliche Arbeitskräfte zur Verfügung stehen. Nehmen wir das Pflegesystem: In Seniorenheimen oder in der Heimpflege werden in Zukunft wahrscheinlich immer mehr Roboter eingesetzt werden. Man kann natürlich sagen, das führe zu noch mehr Isolation im Alter. Auf der anderen Seite gibt es Alters-Einsamkeit bereits heute. Um es auf einen Satz zu bringen: Grundsätzlich geht es um einen ethischen und verantwortungsvollen Umgang mit der Technologie.
Europa – und damit auch Deutschland – hinken in der Entwicklung hinter China und den USA hinterher. Sie selbst sprechen vom „Kalten Tech-Krieg“. Was muss sich Ihrer Meinung nach ändern, damit sich das ändert?
Künstliche Intelligenz braucht Daten. Das heißt, Staaten und Regionen, die Datenschutz nicht so hoch ansetzen wie wir in Europa, haben einen Wettbewerbsvorteil. Nicht von ungefähr sind uns China und die USA in Bezug auf KI voraus. Verstehen Sie mich bitte nicht falsch: Datenschutz ist wichtig. Aber um mit der Entwicklung schrittzuhalten zu können, gilt es, in der Öffentlichkeit ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass Datenschutz die Innovationskraft einschränken kann. Wenn ein solches Bewusstsein vorhanden ist, kann man an das Thema vielleicht anders rangehen, als es bisher der Fall ist. Ich bin ebenfalls der Meinung, dass nicht jeder Fahrradverleih wissen muss, wo seine Kunden genau hinfahren. Allerdings könnten solche anonymisierten Daten für die Entwicklung einer Stadt, also dem öffentlichen Sektor, sehr hilfreich sein.
Stichwort „Humane Digitalisierung“: Muss sich die Welt der KI anpassen – oder die KI der Welt?
Künstliche Intelligenz passt sich immer der Welt an. Weil sie – zumindest im Moment noch – von Menschen gemacht wird. Es geht dabei um die Anforderungen der Wirtschaft und der Gesellschaft. Man versucht derzeit, Lücken zu schließen. Innovation und Fortschritt bringen allerdings auch Veränderung mit sich. Humane Digitalisierung bedeutet, dass der Staat und einige sich selbstkontrollierenden Firmen sich in Übergangsphasen der Entwicklung bewusst regulieren. Dies gibt Bevölkerungsgruppen, die durch die Digitalisierung und den damit einhergehenden Wandel zunächst schlechter gestellt sind, die Chance, sich anzupassen.
Können Sie ein Beispiel nennen?
Nehmen wir Uber. In Deutschland kann Uber nicht so agieren wie in anderen Ländern, weil man die hiesigen Taxifahrer gesetzlich geschützt hat. Das ist auch gut so. Dem Markt wird dadurch für eine Übergangszeit die Möglichkeit gegeben, sich an den Fortschritt anzupassen. Dies sollte aber eben auch als Übergangsperiode verstanden werden und nicht als dauerhafte Blockade. In naher Zukunft wird es allerdings weder Uber- noch den Taxifahrer geben, sondern vor allem selbstfahrende Autos. Der Gesetzgeber sollte bereits heute darüber nachdenken, was dann passieren wird. Eine solche perspektivische Denke fehlt in der Politik jedoch häufig noch. Die Frage ist: Wie schaffen wir es als Gesellschaft, diejenigen unterzubringen bzw. zu motivieren, die im Zuge der Digitalisierung ihre Arbeit verlieren. Ob Uber- oder Taxifahrer – wir müssen es schaffen, jeden auf diese Reise mitzunehmen. Das heißt, es müssen Wege gefunden werden, wie weniger Qualifizierte in der Zukunft nicht außen vor bleiben.
Was sollten Studierende mitbringen, um für die digitale Zukunft gewappnet zu sein?
Interdisziplinarität in der Ausbildung ist heute sehr wichtig. Unsere Studierenden werden sich in ihrer beruflichen Laufbahn etliche Male anpassen und umdenken müssen. Sie werden extrem anpassungsfähig und flexibel sein müssen. Je mehr „Basisvokabular“ aus unterschiedlichen Bereichen unsere Absolvent*innen beherrschen, desto einfacher wird es für sie sein, sich künftig im Berufsleben zu behaupten. Lebenslanges Lernen ist hier Schlüsselwort. Außerdem sollte jeder Studierende, egal in welchem Fach er unterwegs ist, zumindest einen Kurs in Coding gemacht haben. Er oder sie wird danach nicht programmieren können. Aber wenn man später mit einer Maschine arbeitet, ist es gut, wenn man vom Prinzip her versteht, wie sie „tickt“. Darüber hinaus ist unternehmerische Risikobereitschaft von Vorteil. Ein solches Denken lässt sich an der Hochschule fördern. Indem man etwa vermittelt, dass auch Misserfolge im Sinne einer Fehlerkultur hilfreich für den unternehmerischen Erfolg sein können.
Und was können Hochschulen in diesem Zusammenhang noch tun?
Sie können entsprechende Kurse in den Lehrplan integrieren. Dazu gehören auch Kurse über die ethische Implementierung von Künstlicher Intelligenz. Außerdem finde ich es wichtig, dass mehr Frauen in diesem Bereich motiviert und gefördert werden. Frauen nehmen an KI-relevanten Berufen bisher sehr wenig teil, obwohl dringend Arbeitskräfte benötigt werden. Hier liegt noch viel Potenzial brach. Ein weiterer wichtiger Punkt: Universitäten bilden nicht nur Europäer aus, sondern auch Studierende aus anderen Regionen der Welt, in denen Themen wie Datenschutz oder Menschenrechte nicht so hoch geschätzt und getragen werden wie bei uns. Ein entsprechend ausgerichtetes Curriculum könnte eine humane Digitalisierung voranbringen.
Gibt es konkrete Beispiele für entsprechende Kurse an der ESCP Europe in Berlin?
Wir befinden uns auf einem guten Weg. Kurse zum Thema KI und Ethik konnten wir bereits in einigen Programmen etablieren. Auch Programmierkurse gibt es bereits in mehreren unserer Studiengänge. Frauen fördern wir gezielt sowohl in unseren Female Leadership Kursen, als auch in hierfür ausgelegten Community-Veranstaltungen. Insgesamt haben wir uns an der ESCP Europe in Berlin auf die Bereiche Digitalisierung, Entrepreneurship, und Nachhaltigkeit spezialisiert. Hier passiert also sehr viel. Aber man kann natürlich immer noch mehr tun.
Inwieweit arbeiten Sie beim Thema Digitalisierung mit der Wirtschaft zusammen?
Für unser Master-Programm „Strategy and Digital Business“ haben wir zum Beispiel die internationale Managementberatung Bain & Company als strategischen Partner gewinnen können. Letztes Jahr hat Bain am Potsdamer Platz eines von weltweit zwei Digital Discovery Hubs eröffnet, ein Labor für digitale Lösungen. Das Unternehmen arbeitet mit uns gemeinsam an Inhalten, stellt Dozenten zum Thema Künstliche Intelligenz und unsere Studierenden gewinnen einen direkten Einblick, an welchen Projekten im Digital Discovery Hub gerade gearbeitet wird. Um noch ein aktuelles Forschungsbeispiel zu nennen: Vor Kurzem haben wir unser „European Center for Digital Competitiveness“ an der ESCP Europe Berlin gegründet – unter der Leitung von Professor Meissner. Das Zentrum verfolgt die Zielsetzung, Europa in der Digitalisierung nach vorn zu bringen. Darüber hinaus möchten wir über das Center einen verantwortungsvollen Umgang mit der Technologie fördern.
Inwiefern ist Berlin für Sie ein guter Standort?
Berlin ist ein fantastischer Standort! Zunächst einmal macht die sehr enge Verbindung zwischen Wirtschaft und Wissenschaft die Stadt besonders. Es gibt großartige wissenschaftliche Einrichtungen in Berlin. Dass Wirtschaft und Wissenschaft hier Hand in Hand arbeiten, ist eine sehr gute Basis. Berlin zieht außerdem viele kreative Köpfe an und ist daher weit überdurchschnittlich international. Das ist ein großer Standortvorteil: Wir brauchen kluge Köpfe. Und je internationaler und offener die Stadt ist, desto mehr kluge Köpfe kommen, um hier zu arbeiten. Das hat Berlin einfach geschafft. Hinzu kommt: Hier zu wohnen und zu leben ist nach wie vor erschwinglicher als beispielsweise in den europäischen Konkurrenzstädten London und Paris.
Wenn Sie sich in Bezug auf die Entwicklung der KI etwas wünschen würden, was wäre das?
Ich würde mir wünschen, dass man alle Gruppen und Bevölkerungsschichten der Gesellschaft in der Entwicklung mitnimmt; dass der Mensch immer im Mittelpunkt des Digitalen Wandels steht. Und auch, dass wir mit einer positiven Einstellung an das Thema herangehen. Entrepreneurship heißt: Man sollte Chancen ergreifen und auch mal was ausprobieren. Man muss einfach positiv an die Sache rangehen und sagen: Wir schaffen etwas Großartiges! (vdo)
Botschafter-Porträt von Prof. Dr. Andreas M. Kaplan