• Porträt Prof. Dr. Anabel Ternès von Hattburg, SRH Berlin

    Zugang zur Digitalität finden

Während der letzten Jahre zeichnet sich zunehmend eine digitale Kluft zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen ab. Einer Kluft zwischen jenen Menschen, die Zugang zu den digitalen Informations- und Kommunikationstechnologien haben und diesen auch nutzen sowie solchen, denen dieser Zugang vorenthalten ist oder die bewusst darauf verzichten. Die Folgen sind ausgeprägte Wissensgräben und unterschiedliche soziale und wirtschaftliche Entwicklungschancen. In ihrem Gastbeitrag beschreibt Brain City-Botschafterin Prof. Dr. Anabel Ternès von Hattburg die Gründe für diese Entwicklung in Deutschland, die Auswirkungen auf die Gesellschaft und erläutert, wieso digitale Kompetenzen so wichtig sind. 

Dr. Anabel Ternès von Hattburg ist seit 2012 Professorin für Internationale BWL an der SRH Berlin University of Applied Sciences. Ein Schwerpunkt ihrer Forschung sind die Auswirkungen von Digitalisierung und Globalisierung auf Gesellschaft und Gesundheit. Vor ihrer Zeit an der SRH arbeitete sie auf internationaler Ebene im Bereich Business Development. 

Digitalität beschreibt die auf digitalen Medien und Technologien basierende Kommunikation und die Verbindungen zwischen Menschen und Objekten des digitalen Raums. Digitalität fokussiert soziale und kulturelle Praktiken und grenzt sich dadurch zu den technologischen Entwicklungen Digitalisierung und digitale Transformation ab. Die Gründe dafür, dass Menschen keinen Zugang zu Digitalität haben oder einen theoretisch vorhandenen Zugang nicht nutzen, sind vielfältig:

  • Alterskluft: Sowohl in der Verwendung als auch in der Akzeptanz von Internet und moderner Geräte wie Smartphones oder Tablets besteht zwischen verschiedenen Altersschichten eine deutliche Spaltung. Während unsere heutige Schülergeneration zu den sogenannten Digital Natives gehört, die in der digitalen Welt aufwachsen und diese selbstverständlich nutzen, sind nur etwa zehn Prozent der älteren Personen – etwa jene, die schon mehrere Jahre in Rente sind – in der digitalen Welt zu Hause. Ein großer Teil dieser Altersgruppe lehnt die neuen Medien ab: Berichte über Gefahren und Kriminalität, generelle Vorbehalte und Berührungsängste oder eine gefühlte Überforderung mit dem Tenor „das ist mir alles zu kompliziert“ können zur strikten Ablehnung für sich selbst und die gesamte Gesellschaft führen.
     
  • Breitbandkluft: Heute fordert das Grundgesetz die Gleichwertigkeit der Lebensbedingungen hinsichtlich der Datenautobahn auf der gleichen Ebene wie Verkehrsanbindungen und das Schulangebot. Der flächendeckende Breitbandausbau in Deutschland ist ein noch immer nicht abgeschlossener Prozess, die ungleiche regionale Verfügbarkeit besteht nach wie vor.
     
  • Einkommenskluft: Unterschiede im Haushaltseinkommen verbreitern die digitale Kluft zwischen Arm und Reich deutlich. Einige europäische Länder haben in den vergangenen Jahren einkommensschwachen Familien Laptops kostenfrei zur Verfügung gestellt. Beispielsweise versprach die österreichische Bundesregierung im Januar 2021 allen 10- und 11-jährigen Schülern einen Laptop oder ein Tablet und kaufte dafür 130.000 Geräte an.

Nicht unerwähnt sollte in diesem Zusammenhang bleiben, dass sich manchen Menschen der Nutzen der digitalen Welt nicht erschließt. Es ist daher notwendig, in Form von Bildungsangeboten aufzuklären. Denn die sozialen und wirtschaftlichen Entwicklungschancen sind nachweislich für jene Menschen besser, die den Zugang zur digitalen Welt haben und diesen auch nutzen. Eine kleine Gruppe unserer Gesellschaft hat sich allerdings bewusst gegen die digitale Welt entschieden. Diese Abkehr kann beispielsweise die Folge schlechter Erfahrungen sein.

Ohne Zugang zur Digitalität ist es schwer, an der modernen Gesellschaft teilzuhaben

Mangelnde Kompetenz bei der Nutzung neuer Medien kann neben sozialen Nachteilen insbesondere zu wirtschaftlicher Benachteiligung führen. Der Zugang zur digitalen Welt ist zwar nicht lebensnotwendig, jedoch durchdringt das Internet immer mehr Lebensbereiche und kann viel dazu beitragen, unser Leben deutlich zu erleichtern. In Deutschland wurden bundesweite Initiativen wie die Stiftung Digitale Chancen gegründet, um der digitalen Spaltung entgegenzuwirken.

Insbesondere älteren Menschen bietet die Nutzung des digitalen Raums und der neuen Medien vielfältige Optionen, aktiv zu bleiben, sich zu informieren und sich Wissen anzueignen. E-Mail, Messenger, soziale Netzwerke, Freundschaftsbörsen oder Partneragenturen ermöglichen es, den Kontakt zu Familie und Freunden im Internet zu pflegen oder auch neue Kontakte zu knüpfen. Dies ist mit wenig Aufwand und ortsungebunden machbar. Der Zugang zur digitalen Welt kann demnach ältere Menschen aktiver halten und ihre Lebensqualität positiv beeinflussen.

Das Suchen und Finden im Netz ist in unserem Zeitalter des Wissens für viele zur unverzichtbaren Möglichkeit geworden. Die über das Internet zugänglichen Quellen reichen von Wikipedia, das Enzyklopädien ersetzt, bis hin zu Urlaubsreisen, die im Internet recherchiert und gebucht werden können; Gesundheitsportale bieten Informationen und Hilfe zur Selbsthilfe. All dies ist für jene, die Zugang zur Digitalität haben, meist nur einen Mausklick entfernt und mit deutlich weniger Einsatz von Zeit und Ressourcen möglich als in der „guten alten“ analogen Welt.

Ohne Zugang zu Digitalität ist es beispielsweise auch nicht möglich, die Vorteile einer Bestellung im Internet zu nutzen und bequem, flexibel und ohne Gedränge einzukaufen, wann immer man will. Internet-Shops bieten heute eine breite Auswahl und einfache Lieferung nach Hause. Zudem stehen Produkttests im Internet zur Verfügung und bieten gute Vergleichsmöglichkeiten. 

Auch Bankgeschäfte sind über den Internet-Zugang sicher, effizient und jederzeit möglich. Die Öffnungszeiten der Bankfiliale spielen keine Rolle mehr. Ebenso sind Unterhaltungsangebote im Internet umfassend und differenziert verfügbar – von der Zeitungslektüre über das Radiohören bis hin zum Schauen von Filmen oder Serien oder allein oder gemeinsam genutzten Computerspielen. 

Eltern, die keinen Zugang zur digitalen Welt haben und damit auch nicht über Wissen darüber verfügen, sind damit konfrontiert, dass ihre Kinder diesen sehr wohl haben oder ihn aktiv einfordern. Ohne Kenntnis der digitalen Medien können Eltern weder sinnvolle Regeln definieren noch eine Vorbildfunktion ausüben. Ohne digitalen Zugang sind sie auch nicht in der Lage, mit ihren Kindern über Gefahren und Risiken der sozialen Netzwerke offen zu kommunizieren. Sie können den Medienkonsum ihrer Kinder nur steuern, indem sie deren Medienkompetenz früh fördern. Ohne entsprechende digitale Kompetenzen ist das nicht möglich.

Und schließlich hat sich auch der moderne Arbeitsmarkt in den letzten Jahren größtenteils in das Internet und damit in den digitalen Raum verlagert. Hat der oder die Arbeitssuchende keinen Zugang zu Internet-Stellenportalen oder ist er oder sie  nicht in der Lage, sich digital zu bewerben, dann sinken die  Chancen auf einen Job dramatisch. Die Covid-Pandemie hat diesen Trend deutlich beschleunigt.

Zusammenfassend lässt sich sagen: Ohne Zugang zum digitalen Raum schließen sich Menschen von den genannten Möglichkeiten aus. Sie sind damit an ihre unmittelbare örtliche Umgebung und deren beschränktes Angebot gebunden und können sozial nur eingeschränkt kommunizieren.

Eckpfeiler digitaler Bildung


Bildungsangebote für die Vermittlung digitaler Bildung müssen einige wesentliche Bedingungen erfüllen, damit sie in der Praxis funktionieren:

  • Sie müssen zielgruppengerecht aufbereitet werden. Das gewählte Medienformat und die Art der inhaltlichen Aufbereitung sollten die Zielgruppe ansprechen und erreichen. Ein Beispiel ist eine kurzweilig gestaltete Print-Broschüre für ältere Menschen, die bisher keine Berührungspunkte mit digitalen Medien hatten, oder eine Informationsveranstaltung an der Schule mit anschließender offener Diskussion und Erfahrungsaustausch der Erziehungsberechtigten.
     
  • Sie müssen nachhaltig sein und sollten Konzepte und Prinzipien vermitteln, die dauerhaft gültig sind. Eine Ergänzung mit praktischen und aktuellen Beispielen ist wichtig, um die Teilnehmerinnen und Teilnehmer in ihrer aktuellen Situation abzuholen.
     
  • Sie  sollten nicht nur Risiken thematisieren, sondern auch Handlungsempfehlungen bezüglich Gefahren wie Cybermobbing oder Stalking geben. Präventiv sollten sie Hinweise zum Schutz vor Cyberkriminalität umfassen. 

Ein wesentlicher Aspekt der digitalen Bildung ist die Bereitschaft, sich aktiv mit digitalen Medien auseinanderzusetzen und sich selbst zu helfen. Fühlt man sich unsicher oder überfordert, dann sollte man –  wie sonst im Leben auch – einfach fragen: Freunde und Freundinnen, Kinder, Enkelinnen und Enkel oder das Internet selbst. Zusätzlich erhält man in vielen Volkshochschulen, Bibliotheken und Internetklubs Hilfe. In Internetforen teilen Nutzerinnen und Nutzer ihre Erfahrung und geben Empfehlungen. Mobilfunk- und Internet-Anbieter stellen Ratgeber zur Internetnutzung zur Verfügung, in denen auch Gefahren wie Suchtverhalten und Cyberkriminalität thematisiert werden.

Bedeutung digitaler Kompetenz

Kompetenz im Bereich digitaler Medien ist deshalb so wichtig, weil wir Menschen nur über sie die Fähigkeit erlangen, im digitalen Raum selbstbestimmt zu handeln und zu entscheiden. Neben technischen Fertigkeiten bedeutet digitale Kompetenz auch, digitale Medien reflektiert und kompetent nutzen zu können. Schlussendlich stellt digitale Kompetenz eine unverzichtbare Schlüsselqualifikation dar, um an der modernen Gesellschaft teilhaben zu können. Ebenso wie Lesen, Schreiben und Rechnen zählen der bewusste und verantwortungsvolle Umgang mit Daten und die Fähigkeit, Informationsquellen kritisch beurteilen zu können, heute zu den Grundkompetenzen. 

Arbeit und Forschung zum Thema

Einen zukunftsorientierten und nachhaltigen Zugang zur digitalen Welt zu finden, ist nicht einfach. Die von mir 2016 gegründete soziale Organisation „GetYourWings“ beschäftigt sich bundesweit mit der Entwicklung und Umsetzung nachhaltiger Konzepte für junge Menschen. Es geht darum, ihnen von der Grundschule an zu zeigen, wie sie die Zukunft gestalten können, indem sie digitale Tools verantwortungsvoll und professionell da nutzen, wo es sinnstiftend ist. Meine Forschungstätigkeit zu digitaler Souveränität impliziert die Arbeit zu „Digital Literacy“, aber auch zu Selbstwirksamkeit und Gesundheitsmanagement. Mentale Gesundheit und Stärke – der Prozess der Salutogenese – ist in diesem Zusammenhang ein wichtiges Thema. 

Weiterführende Literatur

  • Anabel Ternès und Carina Troxler: Gesunde Digitalisierung heißt: Der Mensch steht im Mittelpunkt. In: Gesundheit – Arbeit – Prävention. Tagungsband zum 3. Kongress für Betriebliches Gesundheitsmanagement. Hrsg. SRH Fernhochschule, S. 33 – 48, 2020
     
  • Anabel Ternès von Hattburg und Matthias Schäfer (Hrsg.): Digitalpakt – was nun? Ideen und Konzepte für zukunftsorientiertes Lernen, 2020
     
  • Anabel Ternès von Hattburg: Wenn Digitalisierung mehr als ökonomischer Selbstzweck sein soll – Digitale Lernformate zur Optimierung individuellen lebenslangen Lernens. In: Digitale Strategien im Training. 11 Impulse für digitale Lehr- und Lernformate im Training und in der Weiterbildung. Hrsg. Walker, B. Offenbach: Gabal / Jünger Medien, S. 80-89, 2020
     
  • Anabel Ternès von Hattburg: Faktor Menschlichkeit: Erfolgsgarant für Digital Leadership. In: Jens Nachtwei & Antonia Sureth (Hrsg.): Sonderband Zukunft der Arbeit (Human Resources Consulting Review. Band 12). VQP. https://www.sonderbandzukunftderarbeit.de, S. 362 – 366, 2021
     
  • Annekathrin Grünberg, Arndt Pechstein, Peter Spiegel und Anabel Ternès (Hrsg.): Future Skills. 30 Zukunftsentscheidende Kompetenzen und wie wir sie lernen können, 2021
     
  • Anabel Ternès: Ferngesteuert?! Hin zur digitalen Souveränität, 2021
     
  • Anabel Ternès von Hattburg: 30 Minuten Digitale Souveränität, 2022

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