• Franziska Sattler, Moderatorin von "Kaffeeklatsch mit Wissenschaft"

    „Die Wissenschaft braucht das Vertrauen der Gesellschaft“

Seit August 2019 moderiert Franziska Sattler die Veranstaltungsreihe „Kaffeeklatsch mit Wissenschaft“ im Museum für Naturkunde Berlin. An jedem ersten Sonntag im Monat treffen sich hier Forscher*innen und Besucher*innen in bewusst gemütlich gehaltener Runde, um über wissenschaftliche Themen zu plaudern. Mehr über dieses ungewöhnliche Format und die Bedeutung von Wissenschaftskommunikation im Allgemeinen erzählt die Brain City-Botschafterin im Interview. 

Frau Sattler, worum geht es bei Ihrer Veranstaltungsreihe „Kaffeeklatsch mit Wissenschaft“?

Menschen können in entspannten Gruppen ein Thema besprechen und Fragen stellen, ohne sich eingeschüchtert zu fühlen. Einerseits kombiniert das Konzept etwas, das viele Deutsche ihr ganzes Leben lang kennen: sonntags mit der Familie zusammenzusitzen, Kaffee zu trinken, Kuchen zu essen und über das Leben, die Woche und aktuelle Ereignisse diskutieren. Auf der anderen Seite steht die Wissenschaft, die für viele ein unbekanntes Terrain ist. Einige unsere Gäste fragten zum Beispiel: ‚Was machen Wissenschaftler*innen eigentlich den ganzen Tag?’“ 

Gibt es Ihrer Erfahrung nach Berührungsängste zwischen Wissenschaftler*innen und der Öffentlichkeit?

Ich kenne diese Berührungsängste aus meiner eigenen Familie, in der ich die erste Wissenschaftlerin bin. Meine Eltern haben mich immer unterstützt und ich bin ihnen unendlich dankbar dafür. Ich weiß jedoch auch, dass ihnen häufig nicht klar war, was ich so mache. Manchmal haben sie mir gesagt, dass sie Wissenschaft einfach nicht verstehen können und dass man dafür wohl sehr schlau sein muss. Diese Einstellung scheint weit verbreitet zu sein. Das stimmt natürlich nicht. Deshalb ist es mir so wichtig, die Allgemeinheit und Forschende zu einem Dialog auf Augenhöhe zusammenzubringen. Mit guter Wissenschaftskommunikation können Wissenschaftler*innen schon Grundschulkindern ihren Forschungsbereich verständlich erklären.

Welche Bedeutung hat spielt bei „Kaffeeklatsch mit Wissenschaft“ der ungezwungene Rahmen?

Mir ist es unglaublich wichtig, meine Gäste so zu zeigen, wie sie sind und dabei auch einfach mal über das Alltägliche zu plaudern. Die Forschung steht dabei natürlich immer im Mittelpunkt. Aber es geht mir auch darum, die menschliche Seite der Wissenschaft herauszustellen. Zusammen Kaffee zu trinken, macht den Charme von „Kaffeeklatsch mit Wissenschaftaus und sorgt dafür, dass unsere Besucher*innen immer wiederkommen. Dass das Format aufgrund der Corona-Pandemie vorerst digitalisiert wurde, hat der Gemütlichkeit keinen Abbruch getan. Ich treffe mich mit meinen Gesprächspartner*innen bereits vor dem Event – entweder in einem Café oder zurzeit auch online, damit wir uns schon mal kennenlernen können. Mir ist es wichtig, den Besucher*innen das Gefühl zu geben, dass die zwei Menschen, denen sie zuschauen, sich schon lange kennen.

Nach welchen Kriterien wählen Sie Ihre Gäste aus?

Ich suche mir aktiv Wissenschaftler*innen aus, die mich selbst interessieren und deren Forschung mich begeistert. Ich bin mir sicher, dass man mir das bei der Moderation anmerken kann. In der Vergangenheit habe ich oft Wissenschaftlerinnen einladen, um ihre Sichtbarkeit in der Öffentlichkeit zu erhöhen – beispielsweise die Immunologin Anna Taranko. In Zukunft möchte ich mehr darauf achten, dass die Liste meiner Gäste diverser wird. Berlin hat so viele tolle Forscher*innen aus aller Welt. Diese Vielfalt möchte ich in meiner Veranstaltungsreihe widerspiegeln.

Wie war das bisherige Feedback auf Ihre Veranstaltungen? 

Überwältigend und extrem positiv. Von jungen Familien bis hin zu Rentner*innen sind die unterschiedlichsten Menschen dabei. Und alle stellen interessante Fragen. Dass am Museum für Naturkunde und unseren Partnerinstituten so viele spannende Themen erforscht werden, überrascht die meisten. Zudem zeigt das Feedback, dass die Veranstaltung den Besucher*innen eine wunderbare Möglichkeit bietet, entspannt etwas über die verschiedensten Themen zu erfahren – vom Klimawandel über das Insektensterben oder Autoimmunkrankheiten bis hin zur Bernsteinforschung. 

Welche Rolle sollte aus Ihrer Sicht der Dialog mit der Öffentlichkeit in der Arbeit von Wissenschaftler*innen spielen?

 „Wissen verpflichtet auch zu seiner Vermittlung“, hat Bundesforschungsministerin Anja Karliczek gesagt. Dem stimme ich 100-prozentig zu. Außerdem ist das Interesse an Wissenschaft seitens der Öffentlichkeit absolut vorhanden. Laut „Wissenschaftsbarometer“ der Initiative „Wissenschaft im Dialog“ interessieren sich mehr als 70 Prozent der Deutschen für wissenschaftliche Themen und rund zwei Drittel der Befragten sprechen Wissenschaft und Forschung auch in Zeiten der Corona-Pandemie ihr Vertrauen aus. Von Wissenschaftler*innen wird immer mehr verlangt, dass sie nach außen kommunizieren. Schließlich wird die große Vielfalt an Forschung auch durch die Steuern unserer Bürger*innen ermöglicht, daher sollte die Forschung für die Öffentlichkeit transparenter und zugänglicher gemacht werden. Der Austausch zwischen Forschenden und der Gesellschaft sollte in sämtlichen Wissenschaftsbereichen alltäglich werden. Die Wissenschaft braucht das Vertrauen der Gesellschaft. Wenn ich durch „Kaffeeklatsch mit Wissenschaft“ einen Betrag dazu leisten kann, dass unsere Besucher*innen mit neuem Wissen und einem revidierten Bild von Wissenschaftler*innen das Event verlassen, habe ich mein Ziel erreicht. 

In Zeiten von Corona zeigt sich, dass Wissenschaftler*innen häufig hohem Druck ausgesetzt sind, wenn sie neben ihrer Forschungsarbeit in den Dialog mit der Gesellschaft treten müssen. Wie können sie sich darauf vorbereiten? 

Ich würde mir wünschen, dass es für Wissenschaftler*innen schon früh im Studium zur Pflicht wird zu erlernen, wie man populärwissenschaftlich schreibt und mit der Öffentlichkeit kommuniziert. Man darf nicht vergessen, dass Forschende meist „nur nebenbei“ Wissenschaftskommunikation betreiben. Wissenschaftskommunikation zu erlernen und zu erproben, sollte für alle Wissenschaftler*innen zur Voraussetzung werden. Dazu gehört auch, dass man Wissenschaftskommunikation als Tätigkeit schätzt und nicht nur als Nebenjob betrachtet. Workshops, Trainings und Universitätskurse wären da auf jeden Fall von Vorteil. 

Derzeit machen vor allem in den Sozialen Medien viele Fake News die Runde. Haben Sie Tipps, um hier Richtig von Falsch zu unterscheiden? 

Da ich selbst Wissenschaftlerin bin und aktiv Forschung betrieben habe, verstehe ich die Wichtigkeit von Peer-Reviews. Ein Peer-Review – oder Gutachten – ist ein überaus wichtiges Verfahren zur Qualitätssicherung einer wissenschaftlichen Arbeit durch ein Team von unabhängigen Gutachtern aus dem gleichen Fachgebiet. Es dient dazu, wissenschaftliche Artikel vor der Publikation einer kritischen Überprüfung durch Fachleute zu unterziehen. Wenn ich eine polarisierende Schlagzeile oder ein Statement in der Presse sehe, dass mich verwundert oder eine emotionale Reaktion bei mir hervorruft, ist mein erster Gedanke, zunächst einmal die Quelle kritisch zu betrachten. Wo wurde die Nachricht veröffentlicht? Ist die Quelle offiziell, aktuell und anerkannt? Generell finde ich es wichtig, erst einmal alles anzuzweifeln, was sensationsheischend oder extrem klingt. Aber auch Fakten, die auf den ersten Blick glaubwürdig erscheinen, sollte man durch einen Abgleich im Internet überprüfen und schauen, ob andere Quellen sie bestätigen. 

Berlin hat eine hohe Dichte an wissenschaftlichen Einrichtungen und Wissenschaftler*innen – und außerdem international bekannte Veranstaltungsformate wie die Berlin Science Week. Ist die Brain City damit besonders prädestiniert für Wissenschaftskommunikation? 

In Berlin sind die Angebote so flächendeckend und divers, dass es immer etwas gibt, das einen begeistert: Science Slams, die Lange Nacht der Wissenschaften, Berlin Science Week und sogar Angebote zu Bürgerwissenschaften, bei denen  man selbst mitforschen kann, gibt es hier. Mein persönlicher Eindruck ist, dass das ausgesprochen vielfältige Angebot in der Brain City viele Bürger*innen dazu bewegt, an der Wissenschaft teilzuhaben. Sie können selbst aussuchen, was ihnen gefällt und liegt. Ich bin überaus dankbar hier zu leben und zu forschen und zu sehen, wie meine Arbeit immer mehr Leute anzieht und begeistert. Ich kann mir manchmal kaum vorstellen, dass dies irgendwo sonst noch besser gehen sollte, als in Berlin. (vdo)

 

Weitere Informationen

Kaffeeklatsch mit Wissenschaft Jeden 1. Sonntag im Monat. Die nächsten Termine: 5. Juli und 2. August 2020.
Wissenschaftsbarometer Corona spezial 

 

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