„Wir versuchen, einen Blick in die Zukunft zu werfen“
04.07.2019 | Berlin ist eine der wasserreichsten Städte Deutschlands. Rund 6,6 Prozent der Berliner Gesamtfläche sind von Wasser bedeckt. Doch auch vor Havel, Spree und Wannsee macht der Klimawandel nicht halt. Am Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) beschäftigen sich Wissenschaftler*innen aus Hydrologie, Chemie, Physik, Mikrobiologie, Limnologie, Fischökologie und Fischereibiologie mit der Zukunft unserer Gewässer.
Einer davon ist Dr. Michael Hupfer, Abteilungsleiter am IGB. In einem seiner aktuellen Forschungsprojekte beschäftigt sich der Hydrobiologe mit den Auswirkungen des Klimawandels auf urbane Seen. Im Interview erzählt er mehr: über Gewässererwärmung, Starkregen, Blaualgen und Fischsterben. Und er erklärt, was wir im Kleinen tun können, um unsere Gewässer zu entlasten.
„Angewandte Fragen zu klären, hat einen besonderen Reiz. Mit meiner Forschung Umweltbedingungen verbessern zu können, finde ich äußerst spanned.“
Herr Dr. Hupfer, in diesem Sommer spüren wir es besonders deutlich: Die Sommer in Berlin werden immer heißer. Inwiefern wirkt sich das auf die Berliner Gewässer aus?
Wir verzeichnen seit 2018 ungewöhnlich hohe Temperaturen im Sommer. In den Berliner Binnengewässern werden derzeit über 25 Grad Celsius erreicht. Das ist schon recht hoch. Die Normaltemperaturen liegen in den Sommermonaten zwischen 20 und 25 Grad.
Im letzten Jahr erreichte der Müggelsee knapp 30 Grad. Grundsätzlich kann man sagen, dass es sich hier um einen Trend handelt. Die Gewässer in unserer Region haben sich in den letzten 3 bis 4 Jahrzehnten um 0,4 bis 0,5 Grad pro Dekade erwärmt.
Ist das eine Folge des Klimawandels?
Man kann es eigentlich gar nicht anders interpretieren, als dass dies mit dem Klimawandel zu tun hat.
Die Entwicklung folgt im Wesentlichen der Erwärmung der gesamten Erdoberfläche.
Was bedeutet das für die Berliner Gewässer?
Das ist nicht ganz leicht zu beantworten, da wir hier sehr verschiedene Gewässertypen haben. Es gibt in der Region Fließgewässer, flache und tiefe Seen und auch kleine Gewässer. Die reagieren alle unterschiedlich auf die Erwärmung. In flacheren Seen, wie etwa dem Müggelsee, bildet sich durch die Erwärmung zeitweise eine thermische Schichtung aus. Das bedeutet, dass sich die Oberfläche ganz besonders stark erwärmt und die darunter liegende, etwas kältere Schicht separiert wird. In Folge wird die untere Schicht nicht mehr mit sauerstoffreicherem Wasser der Oberfläche durchmischt, weil sie nicht mehr an dem Zyklus teilnimmt. In tieferen Seen wie dem Tegeler See verlängert sich die sommerliche Schichtungsperiode, was dazu führen kannt, dass ein Großteil des tiefer gelegenen Wassers keinen Sauerstoff mehr führt. Damit haben natürlich einige Organismen Probleme. Sie müssen nach oben ausweichen in die sauerstoffreiche wärmere Schicht.
Und welche Organismen sind das?
Vor allem Fische, die an das kalte Wasser adaptiert sind. Seesaibling und anderen lachsartigen Fischen etwa fällt es schwer, in warmem Wasser zurechtzukommen. Sie wandern ab oder müssen in der wärmeren Schicht mit Einschränkungen existieren. Andere, wie Zander und Brassen, haben eine erhebliche Temperatur-Toleranz und können sich anpassen. Zum Beispiel, indem sie ihren Stoffwechsel reduzieren.
Gab es in der Berliner Region bereits Fischsterben aufgrund von Wärme?
Für Berlin ist mir in diesem Jahr nichts bekannt. In vielen anderen Regionen Deutschlands wurde im vergangenen Sommer häufiger Fischsterben vermeldet. Das hat mit der eben geschilderten mangelnden Durchmischung des Wassers zu tun. Meist kombiniert sich ein solches Phänomen noch mit einer verstärkten Zufuhr von organischen Stoffen, zum Beispiel durch Starkniederschläge. Wenn folgende Kombination eintritt: lange Trockenheit verbunden mit einer starken Schichtung, Sauerstoff-Schwund im tiefen Wasser und plötzliche Zufuhr von organischen Nähstoffen, kann dies ein Fischsterben nach sich ziehen. Gewässer mit vielen Schwebalgen sind besonders gefährdet. Zwar findet sich an der Wasseroberfläche zunächst viel Sauerstoff, da die Algen ihn durch Photosynthese produzieren. Aber wenn sie absterben und in den tiefen, lichtlosen Bereich kommen, zehren sie zusätzlich Sauerstoff.
Und welche Rolle spielen in diesem Zusammenhang die gefürchteten Blaualgen?
Das ist noch etwas anderes: Blaualgen treten besonders häufig auf, wenn wir hohe Wassertemperaturen haben und der Wasserkörper wenig Turbulenz aufweist sowie viele Nährstoffe enthält. Ihr massenhaftes Auftreten ist also meist an eine hohe Nährstoffbelastung des Wassers gekoppelt. Insofern setzen Starkniederschläge, wie sie jetzt ebenfalls häufiger auftreten, den Gewässern wirklich zu. Denn sie bewirken plötzliche Nährstoffschübe, die in kürzester Zeit das Wachstum von Cyanobakterien ankurbeln – oder „Blaualgen“, wie die Bakterien umgangssprachlich heißen.
Worauf sollte man als Badegast achten? Gibt es Alarmzeichen für eine schlechte Wasserqualität?
Die Wasserqualität der Berliner Badeseen wird vom Landesamt für Gesundheit und Soziales (LAGeSo) gut überwacht; das Frühwarnsystem ist sehr zuverlässig. Darüber hinaus sollte man im städtischen Bereich nach Starkregen nicht sofort ins Wasser gehen. Auf einen Schlag werden da Verunreinigungen von außen in die Seen gespült. Ein großes Problem ist in solchen Fällen auch die Mischkanalisation. Bei starkem Regen schafft es die Kanalisation nicht mehr, Regen- und Abwasser gleichzeitig in die Kläranlage zu bringen. Ein Teil dieses Wassers fließt dann in die Oberflächengewässer. Auch die Sichttiefe des Wassers sollte man beachten: Wenn man die eigenen Beine von oben nicht weiter als einen Meter erkennen kann, ist die Qualität des Wassers nicht mehr so gut. Häufig haben sich dann bereits Blaualgen verbreitet, von denen einige Toxine bilden können. Das heißt nicht zwingend, dass es gefährlich ist, dort zu baden. Aber es ist definitiv nicht mehr schön.
Hat der Klimawandel Auswirkungen auf unser Trinkwasser?
Auch hier könnte Wasserknappheit entstehen. Berlin hat natürlich den großen Vorteil, dass es sehr wasserreich ist. Trotzdem muss man solche Entwicklungen ins Kalkül ziehen. Und überlegen, wie wird die Trinkwasserversorgung in der Region beispielsweise Ende dieses Jahrhunderts aussehen?
Dazu stellen Sie bereits Überlegungen an, oder?
Ja. Am Tegeler See lässt sich besonders gut erforschen, wie der Klimawandel bisher gewirkt hat, wie er in Zukunft wirken wird und wie dadurch bestimmte Nutzungen beeinträchtigt werden könnten. Aus dem Tegeler See wird Trinkwasser gewonnen. Es gibt dort eine Phosphorreinigungs-Anlage, die dafür sorgt, dass Einträge über die Zuflüsse und die Havel verringert werden. Und es gibt eine steuerbare Belüftungsanlage für das Tiefenwasser. Wir haben mit unserer Forschung bisher herausgefunden: Stärker belastete Gewässer, die vorgeschädigt sind und unter starkem Nutzungsdruck stehen, werden unter den Bedingungen des Klimawandels künftig mehr Aufmerksamkeit benötigen als Gewässer, die weniger belastet sind.
Wie gehen Sie in Ihrer Forschung vor?
Wir versuchen, einen Blick in die Zukunft zu werfen. Indem wir zum Beispiel analysieren, wie sich das Klima in Berlin bis zum Jahr 2100 entwickeln wird und welche Folgen Hitzesommer und milde Winter jetzt schon haben. Aus vorliegenden Klimaprojektionen berechnen wir dann unter Nutzung von Modellen, welche Auswirkungen etwa ein anhaltender Erwärmungstrend auf die Gewässer haben könnte: Wie die Schichtungsverhältnisse sind, wie sich die Temperatur entwickeln wird, wie die Algen wachsen etc. Wir versuchen auch, Prognosen bezüglich der Wasserqualität zu treffen. Im Grunde geht es um Vorsorgemaßnahmen bzw. Anpassungsstrategien. Die Auswirkungen des Klimawandels werden sich nicht vollständig aufheben lassen. Darauf müssen wir uns heute bereits einstellen. Deshalb wollen wir in Kooperation mit den Bundesländern ein Klima-Monitoring für Seen auf den Weg bringen. Mit dem Berliner Senat arbeiten wir diesbezüglich bereits seit einigen Jahren gut zusammen.
In einem anderen Projekt kooperieren Sie mit dem Leibniz-Institut für Ostseeforschung Warnemünde (IOW) ...
Hier schauen wir in die Vergangenheit, um daraus zu lernen. Zum Beispiel, indem wir die jüngere Entwicklung der Seen anhand ihrer Sedimentkerne rekonstruieren. Es geht uns dabei immer um realistische Prognosen. Wir befinden uns hier schließlich einem urbanen Raum mit mehreren Millionen Einwohner*innen. Im Vergleich zu früher hat sich allerdings schon viel getan. Nehmen Sie den Tegeler See: Noch in den 1960er-Jahren hatte dieser eine sehr schlechte Wasserqualität. Das hing zum Teil mit den Rieselfeldern zusammen, deren durch die Abwässer belasteten Abflüsse in den See gelangten. Der Tegeler See hat heute wieder Trinkwasserqualität. Schäden lassen sich also bis zu einem gewissen Grad auch wieder rückgängig machen.
Was kann jeder von uns tun, um die Qualität unsere Gewässer zu erhalten?
Die Berliner Seen sind wichtige Erholungsgebiete. Das soll auch so sein. Trotzdem kann jeder von uns ein wenig dazu beitragen, die Gewässer zu entlasten. Zum Beispiel, indem wir die Schilfbestände am Ufer schützen, Geschwindigkeitsbegrenzungen auf dem Wasser einhalten und an den Badestellen keinen Müll oder Hundekot zurücklassen. Wichtig ist es auch, das eigene Verbraucherverhalten zu ändern: Produkte aus der industriellen Landwirtschaft belasten unser Grundwasser, insofern sollten wir uns gut überlegen, was und wieviel wir davon kaufen. Auch in den Binnengewässern findet sich inzwischen Mikroplastik. Und Arzneimittel-Rückstände sind für Binnengewässer ebenfalls ein großes Problem. Diese können in Kläranlagen teilweise nicht herausgeholt werden und befinden sich dann im Wasserkreislauf. Kurzum: Was wir an Land falsch machen, wird sich auch in den Gewässern widerspiegeln. (vdo)
Fotos Galerie: Bergpanorama: M. Lau/IGB; Proben im Eis: L. Heinrich/IGB; Messstation Arendsee: S. Jordan/IGB; Dr. Michael Hupfer: David Ausserhofer/IGB