• Eine präventive App gegen Stalking

Um Polizei und Opfern zu helfen, Stalking bereits im Ansatz zu identifizieren, hat Polizeikommissar Turgay Akkaya im Rahmen seines Bachelor-Projekts an der HWR Berlin eine Anti-Stalking-App entwickelt. Für den hohen Praxisbezug seiner Forschung erhielt er Anfang Januar den Eberhard-Fischer-Preis. Die App soll potenziellen Opfern und für den Polizeieinsatz bald zur Verfügung stehen.

Die Idee, eine Anti-Stalking-App zu entwickeln, kam Turgay Akkaya im Einsatz. „Während meines Studiums für den Gehobenen Polizeivollzugsdienst an der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin (HWR Berlin) hatte ich regelmäßig Praxiseinsätze auf verschiedenen Polizeiabschnitten in Berlin“, sagt der 34-jährige Polizeikommissar. „Ich war öfter dabei, wenn die Polizei gerufen wurde, weil es zu häuslicher Gewalt gekommen war. In einigen Fällen, wenn ganz offensichtlich eine Trennung der Partner absehbar war oder sogar schon stattgefunden hatte und die Auseinandersetzungen in körperliche Angriffe übergingen, ließ sich aus dem Verhalten und den Äußerungen der Konfliktparteien die Wahrscheinlich ableiten, dass Stalking über kurz oder lang ein Thema in dieser Beziehung werden würde.“

Nach einer aktuellen Statistik des Bundeskriminalamts wurden im Jahr 2020 insgesamt 29.301 Frauen und 3.721 Männer Opfer von Stalking, Bedrohung und Nötigung im Kontext partnerschaftlicher Gewalt. Die Dunkelziffer dürfte weit höher liegen. Doch der Straftatbestand des Stalkens ist ein sehr schwer greifbares Delikt, kaum sachlich zu beschreiben oder gar nachzuweisen. „Das ist ein Problem für die (potenziellen) Opfer dieser psychisch sehr belastenden Situation. Deshalb scheuen sie sich, Anzeige zu erstatten.  Gleichzeitig ist Stalken auch für Polizistinnen und Polizisten nicht selten unbekanntes Terrain. Hier wollte ich praktische Hilfestellung geben“, so Turgay Akkaya.

Die App funktioniert wie ein Wahl-O-Mat

Im Rahmen seiner Bachelor-Arbeit erstellte er eine Checklist, mit der sich Stalken anhand bestimmter Kriterien nachweisen lässt. Diese funktioniert als Frage-und Antwort-Tool – ähnlich wie ein Wahl-O-Mat. Die angeklickten Antworten werden qualitativ mit einem Merkmalskatalog abgeglichen. Anhand der Übereinstimmung mit den definierten Kriterien wird bestimmt, ob und in welchem Maße der Tatbestand des Stalking erfüllt ist.

Kolleginnen und Kollegen von der Berliner Polizei und Christian Matzdorf, Professor für Kriminalistik am Fachbereich Polizei und Sicherheitsmanagement der HWR Berlin und Betreuer seiner Bachelor-Arbeit, unterstützten Turgay Akkaya dabei, die Checklist zusammenzustellen. „Ich habe zunächst mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern von Fachdienststellen der Berliner Polizei gesprochen und mit ihnen gemeinsam eine Risikoanalyse vorgenommen, die sich an der Polizeipraxis ausrichtet. Auf dieser Grundlage habe ich dann die Checkliste erstellt“, erläutert Turgay Akkaya. Mittels einer quantitativen Online-Umfrage prüfte er die Checkliste anschließend auf Praxistauglichkeit und untersuchte, wie sie eingesetzt werden kann. Befragt wurden dafür Studierenden der HWR Berlin über den Zeitraum von einem Monat. Von 542 befragten Personen gaben dabei rund 40 Prozent (228) an, selbst schon von Stalking betroffen gewesen zu sein bzw. Personen aus dem persönlichen Umfeld zu kennen, die bereits Opfer von Stalking wurden oder sind. Bei der Weiterentwicklung der Checklist zur App half Turgay Akkaya übrigens, dass er vor meinem Studium an der HWR Berlin im Softwarebereich gearbeitet hat.

Turgay Akkaya hofft, dass seine App künftig dazu beitragen kann, potenzielle Stalking-Opfer zu schützen. „In der Polizeipraxis habe ich erlebt, dass Gefährderansprache Gewalttaten verhindern kann. Wenn Polizistinnen und Polizisten eine Stalking-App nutzen und erkennen können, dass es sich tatsächlich um Stalking handelt, können sie das frühzeitig ansprechen und eine mögliche Straftat im Ansatz verhindern.“ Stalking-Opfer bekämen mit der App ein Werkzeug an die Hand, um nachzuweisen, dass sie verfolgt werden und dadurch psychisch Schaden nehmen. Stalking ist in Deutschland zwar seit 2007 strafbar und wird im Extremfall mit bis zu zehn Jahren Haft geahndet. Doch für die psychisch und oft auch physisch Geschädigten ist es meist schwer, festzustellen, ab wann es sich um eine Straftat handelt. Und noch schwerer, diese letztendlich anzuzeigen.

Für Praxisbezug ausgezeichnet

Für seinen Beitrag zur Kriminalprävention erhielt Turgay Akkaya Anfang Januar in Berlin den Eberhard-Fischer-Preis für herausragende wissenschaftliche, publizistische und kulturelle Leistungen von übergeordneter gesellschaftlicher Bedeutung. Bei der Preisverleihung besonders hervorgehoben wurde der hohe Anwendungsbezug der Bachelor-Arbeit – und damit auch der App.

Noch ist die von Turgay Akkaya entwickelte Anti-Stalking-App nicht offiziell im Einsatz. Man kann sie derzeit nur unter Verwendung eines Codes nutzen. „Ich entwickele gerade noch zusätzliche Funktionen und erweitere die App um wichtige Features, damit sie noch anwenderfreundlicher und vielseitiger wird. So soll es noch eine Notruffunktion geben.“ Weitere Anpassungen sind nötig, damit Polizeidienststellen oder Hilfseinrichtungen die App  nutzen können und sie in professionelle Präventionsprogramme eingebunden kann. „Dazu laufen derzeit Gespräche mit Behörden und Polizeiverwaltungen, die ich erst einmal zum Abschluss bringen möchte“, so Turgay Akkaya.

Wer die App nutzen möchte, muss sich also vorerst noch etwas gedulden. Kostenlos zur Verfügung steht Betroffenen jetzt schon die NO STALK-App des Weißen Rings. Mit dieser lassen sich Stalking-Vorfälle per Foto, Video und Sprachaufnahmen beweiskräftig dokumentieren. (vdo)

 

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