• Karin Höhne, Referentin für Chancengleichheit am Berliner Institut für Gesundheitsforschung (BIH)

    „Es gibt es inzwischen viele tolle Wissenschaftlerinnen, die Großartiges leisten“

Am Berliner Institut für Gesundheitsforschung (BIH) geht es vor allem um „Translation“: die Übertragung von Erkenntnissen aus dem Forschungslabor in die klinische Forschung. Gegründet wurde das Institut von der Charité – Universitätsmedizin Berlin und dem Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin (MDC). Mit einer Reihe von Förderprogrammen und Kursangeboten setzt sich das BIH dafür ein, dass mehr Wissenschaftlerinnen in Spitzenpositionen gelangen. Wir sprachen mit Karin Höhne, Referentin für Chancengleichheit am BIH, über gläserne Decken, systembedingte Barrieren und neue weibliche Role Models in der Berliner Wissenschaft.

Frau Höhne, wie definieren Sie Chancengleichheit?

Ich spreche lieber von Chancengerechtigkeit, da Chancengleichheit kaum herzustellen ist. Um Chancengerechtigkeit zu erreichen, müssen wir systemimmanente Barrieren in der Wissenschaft abbauen. Damit alle entsprechend ihrer Ausgangsbedingungen faire Chancen haben und Zugang zu Bildung und Forschung. 

Was tun Sie am BIH für Chancengerechtigkeit in der medizinischen Forschung?

Wir arbeiten auf mehreren Ebenen. Zum einen bieten wir klassisch eine Reihe von Kursen an, um Nachwuchswissenschaftlerinnen auf ihrem beruflichen Weg ein Plus mitzugeben. Dazu gehören etwa individuelle Career Coachings oder Kurse zu Präsentationstechniken. Darüber hinaus gibt es eine direkte Förderung durch finanzielle Unterstützung. Beispielsweise, um berufliche Auszeiten während einer Schwangerschaft oder Elternzeit auszugleichen. Ein weiterer Bereich ist die Arbeit über Gremien. Hier geht es uns darum, systembedingte Barrieren abzubauen und das System so zu gestalten, dass mehr Frauen in der Wissenschaft die Karriereleiter nach oben klettern können. Unser Fokus ist es, Frauen in Spitzenpositionen zu bringen und sie nicht nach der Promotion im Wissenschaftssystem verlieren.

Ist dieses „Verloren gehen“ auf dem Weg nach oben eine nach wie vor ernstzunehmende Tendenz?

Leider ja. Nach meiner Beobachtung gibt es heute viele tolle junge Wissenschaftlerinnen, die wissen, was sie können. Und sie stellen das auch dar. In der Postdoc-Phase erfahren sie dann zum ersten Mal Benachteiligung oder Diskriminierung, stoßen mit dem Kopf an die gläserne Decke und werden aus dem System gedrängt.

Wie lassen sich solche Mechanismen aushebeln?

Das ist schwierig. Die Wissenschaft ist immer noch männlich geprägt und nutzt Bewertungsmaßstäbe, die an Männern ausgerichtet sind. Leistungen von Frauen werden oft schlechter bewertet. Frauen werden außerdem häufig in Rollen und Positionen gesteckt, die in der Wissenschaft weniger Wertschätzung erhalten, wie etwa Teaching-Positionen oder Laborarbeit. Sie bekommen für diese Arbeit seltener die lukrativen Autorenpositionen bei Veröffentlichungen und werden weniger zitiert als männliche Kollegen.  Um Wissenschaftlerinnen und andere in den Lebenswissenschaften unterrepräsentierte Gruppen auf Wikipedia sichtbarer zu machen, haben wir im Rahmen der Berlin Science Week 2019 einen Diversithon am BIH veranstaltet. Genauer gesagt, einen Edit-a-thon, bei dem die Teilnehmer*innen gemeinsam die Einträge von Wissenschaftlerinnen in Wikipedia editiert oder ganz neu angelegt haben. 

Wie wichtig sind weibliche Role Models für junge Wissenschaftlerinnen?

Sehr wichtig. Der Spruch „You can’t be what you can’t see“ trifft hier definitiv zu. So lange wir nur wenige Frauen an der Spitze haben, so lange stehen auch nur diese Wissenschaftlerinnen im Fokus der Öffentlichkeit. Bei den Männern gibt es eine viel breitere „Auswahl“ an Role Models. Je mehr Frauen mit den unterschiedlichsten Lebensläufen wir künftig in Spitzenpositionen haben, desto besser. Denn das bedeutet auch mehr weibliche Vorbilder für Nachwuchswissenschaftlerinnen. Dies ist sehr wichtig. Schließlich gibt es inzwischen viele tolle Wissenschaftlerinnen, die Großartiges leisten.  

Können Sie Beispiele nennen?

Eine unserer BIH Quandt Professorinnen, Professor Dr. Petra Ritter, arbeitet mit ihrem Forschungsteam an der Charité an einem visionären Projekt: der personalisierten Gehirnsimulation. Es geht darum, später einmal die Therapie von Krankheiten wie Epilepsie oder Parkinson an digitalen Avataren vom Gehirn testen zu können. Eine andere außergewöhnliche Berliner Wissenschaftlerin ist Dr. med. Thi-Minh-Tam Ta. Sie ist Oberärztin an der Charité und leitet dort nicht nur die Spezialambulanz für Vietnamesische Migranten, sondern auch die Psychiatrische Institutsambulanz. Dr. Thi-Minh-Tam Ta ist außerdem Teilnehmerin des BIH Charité Clinician Scientist Program. Dieses ermöglicht es Ärzt*innen während ihrer Facharztausbildung für bis zu drei Jahre 50 Prozent ihrer Arbeitszeit für Forschung zu nutzen.

33 Prozent Professorinnen-Anteil an Staatlichen Hochschulen; knapp 48 Prozent der Promovierenden sind Frauen: Berlin ist bundesweit in Bezug auf Gleichstellung von Wissenschaftlerinnen recht gut aufgestellt. Was macht die Brain City Berlin besonders?

Die Zahlen sind gut, aber ich habe bisher zu wenig Einblick in die Situation an den Hochschulen, um beurteilen zu können, was in den letzten Jahren besonders gut funktioniert hat. Die Gelder, die das Berliner Chancengleichheitsprogramm für die Förderung von Wissenschaftlerinnen bereitstellt, sind sicherlich enorm wichtig. Darüber hinaus setzen sich die Berliner Hochschulen aber auch sehr dafür ein, dass ihnen weibliche Talente nicht wieder verloren gehen. Auch im Rahmen der Berlin University Alliance wird die Förderung von Diversity und Gender Equality gezielt angegangen.

Haben Sie einen Tipp für Frauen, die in der Berliner Wissenschaft eine Karriere starten? 

Networking ist der Schlüssel zu allen Dingen! Es ist für Wissenschaftlerinnen ungemein wichtig, sich mit Kolleginnen zu vernetzen und sich gegenseitig den Rücken zu stärken. Denn Vieles wird im Verborgenen geregelt. Gut sein allein reicht halt nicht, um an die Spitze zu kommen.   

Wenn Sie in Bezug auf die Gleichstellung von Frauen in der Wissenschaft etwas wünschen könnten – was wäre das? 

Vor allem, dass Frauen noch solidarischer untereinander sind. Doch ich hätte noch einen weiteren Wunsch, der sicherlich etwas utopisch ist: Eine Wissenschaft, die sich nicht nur über Publikationen, Preise und Drittmitteleinwerbungen definiert, sondern sich stärker an Inhalten orientiert und neue Bewertungsmaßstäbe für Exzellenz nutzt. Das würde ganz andere Menschen sichtbar machen als unter den heutigen Rahmenbedingungen. (vdo)

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