• Susanne Plaumann, Beuth Hochschule für Technik Berlin, Brain City Berlin

    „Karrieren sind für Wissenschaftlerinnen heute planbarer“

Die Brain City Berlin glänzt aktuell mit einer sehr guten Berufungsquote für Professorinnen: Im vergangenen Jahr lag sie bei 46 Prozent. Der Anteil an Studentinnen übersteigt an vielen Berliner Hochschulen sogar die 50-Prozent-Marke. Ist damit in der Berliner Hochschullandschaft die Gleichstellung zwischen den Geschlechtern erreicht – oder gilt es, weitere Forderungen zu stellen? Ein Interview mit Brain City- Botschafterin Susanne Plaumann M.A., Zentrale Frauenbeauftragte an der Beuth Hochschule für Technik Berlin, anlässlich des Internationalen Frauentags. 

Frau Plaumann, was genau hat sich in den letzten Jahrzehnten an den Berliner Hochschulen in puncto Gleichstellung getan?

Die Anzahl an Professorinnen hat in vielen Fächern in den letzten dreißig Jahren deutlich zugenommen. 2020 bewegten sich die Anteile von Professorinnen zwischen 69 Prozent an der ASH Berlin und 21 Prozent an der Technischen Universität Berlin (TU Berlin). Unter den berufenen Frauen sind inzwischen viele, die neben einer Karriere auch eine Familie mit Kindern begründet haben. An dieser Stelle werden Gleichstellungserfolge deutlich sichtbar. Die Zahl der Studienfächer mit ausgewogener Geschlechterverteilung hat sich ebenfalls deutlich erweitert. Dennoch gibt es immer noch Fachkulturen, in denen Männer im gesamten Qualifikationsverlauf weitestgehend unter sich bleiben. In der Elektrotechnik oder Mechatronik beispielsweise liegt der Frauenanteil nach wie vor unter zehn Prozent. Im Berliner Vergleich sind es vor allem die Hochschulen mit MINT-Profil, die die quantitativen Gleichstellungsziele noch nicht erreicht haben. 

Und wie sieht es in anderen Fächern aus? 

In Bereichen wie den Life Sciences gibt es inzwischen sehr viele ausgezeichnet qualifizierte weibliche Nachwuchskräfte. Diese können natürlich nicht alle auf eine Professur kommen, da deren Zahl limitiert ist. Die ungleiche Verteilung zwischen den Fachkulturen zeigt allerdings, dass die Wahl des Studienfachs generell zwar offen ist, Geschlecht und Geschlechterstereotypen nach wie vor aber Einfluss auf die Berufs- und Studienwahl haben – und damit auch auf spätere Karriereaussichten. 

Was kann gegen diese Geschlechterungleichheit in der Studienfachwahl getan werden? 

Bei der Ausbildung und Fortbildung von Lehrkräften an Schulen muss deutlich mehr Genderkompetenz vermittelt werden. So lassen sich die Weichen bei der Wahl der Leistungskurse früh stellen und in Bezug auf die Gleichstellung der Geschlechter günstiger beeinflussen. Wir benötigen zum Beispiel mehr Fachkräfte, die frühzeitig und in der Breite bereits in der Schule Informatik unterrichten. Zu wenige Professuren in der Informatik sind mit Frauen besetzt.

Was tun die Berliner Hochschulen, um mehr Gleichstellung herzustellen?   

Die Hochschulen in Berlin haben über die Jahre hinweg ein breites Instrumentarium an Maßnahmen und Förderprogrammen auf die Füße gestellt und in Gleichstellungskonzepten langfriste Strategien festgelegt. Damit sind die Karrieren für Wissenschaftlerinnen heute planbarer, als es früher der Fall war. Schon während des Studiums können wir Studentinnen mit Informationen versorgen, die ihnen den Zugang in die Promotion oder die berufliche Praxis erleichtern. Über das Berliner Programm zur Chancengleichheit von Frauen in Forschung und Lehre sind sehr vielfältige Förderformate entstanden. Kürzlich erst haben sich außerdem die Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten der Berliner Hochschulen gemeinsam die Berufungsprozesse an ihren Hochschulen angeschaut und Qualitätsstandards identifiziert. Mit den Ergebnissen werden wir weiterarbeiten und in den Dialog mit anderen Akteur*innen treten.

Betrachtet man die steigende Zahl von Berufungen und Ernennungen von Professorinnen in der jüngsten Vergangenheit, sind die genannten Ansätze doch sehr erfolgreich.

Der Frauenanteil an Professuren ist tatsächlich gestiegen, aber die Leistungskurve der letzten Jahre fällt flacher aus. Ist ein Drittel der Professuren mit Frauen besetzt „fühlt sich das an“, als wäre die Gleichstellung von 50 Prozent erreicht. Eine „gläserne Decke“ scheint den Zugang für Frauen nach wie vor zu erschweren. Wie fragil die Gleichstellungserfolge sind, hat uns auch die Pandemie mit der Schließung von Kitas und Schulen eindrucksvoll vor Augen geführt. „Retraditionalisierung“ steht inzwischen als neues Reizwort den Gleichstellungserfolgen gegenüber.

Wenn Sie sich etwas wünschen könnten: Was sollte bleiben, was muss sich ändern? 

Die Programme für Frauen mit Mentoring, Coaching und Frauenförderstellen sind nach wie vor wichtig, denn die Wege in die Wissenschaft sind nicht so offen, wie sie scheinen. Das belegen diverse Studien. Netzwerke spielen in der Wissenschaft und ganz besonders an den Universitäten eine herausragende Rolle. Und der Zugang zu diesen Netzwerken wird von Gatekeepern reguliert: Sie entscheiden aus dem Inneren des Netzwerkes heraus, wer Mitglied wird und wer nicht. Da die positive Selektion häufig über die soziale Ähnlichkeit funktioniert, sind es im überwiegenden Fall die mächtigen Männer, die diese Zugänge regulieren. 

Scheuen sich Frauen eventuell auch, bei hochkarätigen Netzwerken anzuklopfen?

In der Beratungspraxis von Wissenschaftlerinnen in der Promotionsphase ist sehr gut zu beobachten, dass Frauen sich sehr auf die fachliche Betreuung konzentrieren und ihre Netzwerke auf Peer-to-Peer-Ebene pflegen. Der Kontakt zu einflussreichen Personen wird gemieden oder ist gar verstellt. Viele  Frauen befürchten außerdem, sich selbst zu verkaufen oder verstellen zu müssen, wenn sie in diesen Teil ihrer Karriere viel Zeit investieren. Und das ist mit einem Tabu belegt. Kurzum: Der Glaube an Leistung, Glück und Zufall ist bei Frauen ausgeprägter als das Wissen über den Wert guter Beziehungen und Verbindungen. Hier zeigt sich eine Hürde für Frauen, über die im Wissenschaftsbetrieb nicht offen genug gesprochen wird. Auch andere diverse Gruppen haben allerdings einen erschwerten Zugang zur Professur. 

Welche Karriere-Perspektiven bietet die Beuth Hochschule für Technik karriereorientierten Wissenschaftlerinnen? 

In den kommenden Jahren werden insbesondere an den drei großen Berliner Fachhochschulen, der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin (HWR Berlin), der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin (HTW Berlin) und der Beuth Hochschule für Technik Berlin, etwa 150 Professuren frei. Das sind gute Erfolgsaussichten für Wissenschaftlerinnen mit mindesten drei Jahren Praxiserfahrung. Netzwerkverbindungen sind hier weniger bedeutsam als eine gelungene Verbindung von wissenschaftlicher Qualifikation und Theorie mit praktischer Berufserfahrung in Industrie, Wirtschaft oder außerhochschulischen Forschungseinrichtungen. Wer hoch motiviert ist, Studierende in kleinen Gruppen zu unterrichten sollte eine Bewerbung ins Auge fassen. Potenzielle Bewerberinnen können mich gerne ansprechen und ich gehe ihre Unterlagen mit ihnen individuell durch.

Ihr persönliches Fazit zum Internationalen Frauentag?

Wir sind erfolgreich in der Gleichstellung, aber mal ehrlich: Da geht noch mehr! (vdo)

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