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05.11.2021Der Einfluss der Pandemie auf den Kapitalmarkt
Ein Gastbeitrag von Brain City-Botschafterin Dr. Anna Klippstein, Professorin für Finanzen, und Eliyahu Mätzschker, Student am Touro College Berlin.
Ganz in der Tradition amerikanischer Universitäten forschen die Studierenden des Touro College Berlin programmübergreifend im Bachelor-Studiengang zusammen mit MBA-Studierenden und Absolventinnen und Absolventen unter der Leitung von Prof. Dr. Anna Klippstein zu dem aktuellen Thema „Pandemic and its impact on the Capital Market“. Das Forschungsprojekt wurde bereits bei der achten Sitzung des Arbeitskreises Finanzierung der Professorinnen und Professoren der Wirtschaftswissenschaften am 7. Mai 2021 im Hamburg vorgestellt. Ende August 2021 stand es im Zentrum reger Diskussionen bei der 20. Internationalen Konferenz „Economy & Business“ im Burgas, Bulgarien. Das Touro College Berlin ist die in Deutschland niedergelassene Zweigstelle des Touro College & University System mit Sitz in New York, USA. Die international ausgerichtete, staatlich anerkannte Privathochschule vergibt deutsche und amerikanische Abschlüsse. Der Unterricht findet ausschließlich in englischer Sprache statt. Fachliche Diversität und interdisziplinäre Synergien – typisch für die Brain City Berlin – schaffen auch hier Effizienz im Forschen und sorgen für einen zusätzlichen Lerneffekt im Sinne von „innovative education“.
Seit Beginn der COVID-19-Pandemie erleben wir ein noch nie da gewesenes Wachstum bei den Technologiewerten. Aktien wie die von Tesla verzeichnen mehr als 700 Prozent Wachstum in weniger als einem Jahr. Aber wir sehen auch andere, bereits sehr etablierte Tech-Konzerne wie Apple und Microsoft, deren Börsenkurse scheinbar nur eine Richtung kennen: nach oben. Nun liegt es in der Natur des Menschen, diese Entwicklung kritisch zu beobachten. Wieso entwickelt sich der Markt so, wie er es tut? Ist das stabil und sicher? Handelt es sich vielleicht wieder nur um eine Blase? Wenn ja, wann platzt sie? Erinnerungen an die frühen 2000er-Jahre werden wach.
Dotcom-Zeit: „Think big!“, aber fast keine Gewinne
Der Schwerpunkt unserer Forschung liegt auf der Vergleichsanalyse zwischen der Finanzkrise in den frühen 2000er Jahren – auch Dotcom-Bubble genannt – und der aktuellen Zeit der Corona-Pandemie. Wir erleben im Moment eine sehr gewaltige Boomphase für sogenannte Growth Aktien – Aktien mit einem hohen Kurs-/Gewinnverhältnis bzw. hohem Umsatzwachstum. Etwas Ähnliches geschah bereits in den Jahren in 2001 bis 2002.
Der Beginn der tech- und internetbasierten Industrie wurzelt in den 1990er-Jahren. Damals entstand eine Industrie, welche die Welt stärker veränderte als fast jede andere. Die Menschen erkannten schnell, welches Potenzial in der IT-Branche steckt. Sie wurde entsprechend hochgejubelt. Es war eine Zeit des sehr schnellen und leicht erreichbaren Wagniskapitals.
Wichtig ist hier, dass zu Beginn des Jahres 2000 die überwiegende Mehrheit der relativ jungen IT-Firmen keine Gewinne erzielte. Dennoch schossen deren Börsenkurse durch die Decke. Ein Beispiel dafür ist Netscape. Das Unternehmen entwickelte mit „Navigator” die erste Internet-Suchmaschine der Welt. Netscape ging an die Börse, ohne davor auch nur einen einzigen Dollar Gewinn erzielt zu haben. Am ersten Tag des Börsengangs hatte sich der Unternehmenswert bereits verdoppelt. Innerhalb weniger Minuten erzielte Netscape einen Wert von fast drei Milliarden Dollar an der Wall Street. Das Motto dieser Firmen lautete damals „Think big!”. Es gab Luxusreisen für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, aber kaum Investitionen in die Zukunft der Unternehmen. Dafür wurden beispielsweise rund 20 Prozent aller Superbowl-Werbeunterbrechungen der frühen 2000er-Jahre – die teuersten Werbeplätze der Welt – von den Tech-Firmen gebucht.
Die Blase platzte, als Japan in eine Rezession rutschte. Die Zentralbanken erhöhten damals den Leitzins, worauf die Nachfrage nach konservativen Anlageformen wieder stieg, während mehr und mehr Anlegerinnen und Anleger ihr Geld von der Börse und den Wachstumsaktien zurücknahmen. Dies bedeutete schließlich das Ende für schnelles Wagniskapital, und somit auch ein Ende des Geldflusses für die Tech-Firmen. Im März 2001 schlidderten die USA ebenfalls in eine Rezession. Verstärkt wurde diese Entwicklung durch die Auswirkungen des 11. September 2001. Sehr viele Firmen mussten Insolvenz anmelden. Das Image einer vermeintlich „perfekten“ Branche brach damit zusammen. Der Nasdaq verlor mehr als 78 Prozent seines Wertes – mehr als 5 Billionen Dollar. Zu den „Überlebenden” der Krise gehören heute Tech-Unternehmen wie Apple, Amazon, Google oder auch Netflix. Zusammengefasst: Damals wies die IT- Branche zwar bereits großes Potenzial auf, es gab allerdings nur wenige wirtschaftlich stabile Gesellschaften.
Corona-Pandemie: neuer Hype um den Hightech-Sektor
Als COVID-19 in die Welt trat, war die Hightech-Branche bereits sehr entwickelt und etabliert. Im März 2020 kam es zu den ersten Lockdowns mit weltweiten Reisebeschränkungen. Die darauf folgende Unsicherheit von Anlegerinnen und Anlegern sowie Investorinnen und Investoren resultierte in „Animal Spirits”, wie der britische Ökonom John Maynard Keynes es nannte. Es kam zu einem massiven Einbruch der Märkte.
Was dann passierte, markiert allerdings die bisher effektivste und innovativste Zeit für den weltweiten Technologie-Sektor. Die große Nachfrage nach Social-Distancing-Solutions sorgte für einen starken Anschub in Richtung Digitalisierung. Amazon ging hierbei als größter Gewinner hervor. Es gab aber auch Überraschungen, wie beispielsweise die Entwicklung von Zoom. Die Aktien des noch vor zwei Jahren völlig unbekannte Unternehmens sind heute bereits im NASDAQ-100-Index gelistet.
Dies führte zu einem neuen Hype rund um den Hightech-Sektor. Growth Funds wie Ark Invest lieferten Gewinne von bis zu 732 Prozent. Der Bitcoin erreichte am 15. April 2021 zwischenzeitlich einen Wert von 64,899 Dollar. Auch Artificial Intelligence ist so gefragt wie nie. Als dann die Meldungen über die ersten Impfstoffe – und später die Impfkampagnen – veröffentlicht wurden, erlebten die Märkte erneut einen Schub nach oben. Der gesamte Markt wurde dabei allerdings von einigen wenigen Tech-Unternehmen getrieben (sogenannten FANGMAN-Unternehmen).
2 Boom-Phasen mit deutlichen Unterschieden
Sowohl die Dotcom-Bubble als auch die Corona-Krise stellen enorme Boom-Phasen dar. Allerdings existieren klare Unterschiede zwischen der Dotcom-Krise und der Pandemie-Zeit. So wuchsen Anfang 2000 in der sogenannten New Economy fast nur Start-ups. Diese neuen, aufstrebenden Firmen wurden überwiegend durch Kredite finanziert und erzielten keine Gewinne. Sie waren daher später auch fast ausschließlich von der Krise betroffen. Heute sind viele Konzerne der Hightech-Branche, wie zum Beispiel Alphabet, Apple, Facebook, Microsoft oder Netflix, nicht nur sehr etabliert – sie erzielten auch bereits vor der Pandemie enorme Gewinne. Ein weiterer Unterschied zwischen den beiden Boom-Phasen: Im Gegensatz zu aktuellen Pandemie-Phase stellte die Dotcom-Krise einen branchen-internen, auf den Tech-Sektor bezogenen Schock dar. Die Erhöhung des Leitzinsatzes gilt als eine der unmittelbaren Ursachen der damaligen Krise und führte dazu, dass die verschuldete Industrie zahlungsunfähig wurde.
Die heutige Corona-Pandemie hingegen stellt ein eher externes Ereignis dar. Der entscheidende Unterschied zur Dotcom-Zeit: Seit mehr als einer Dekade existiert ein Niedrigzins- (in den USA) bzw. Negativzins-Umfeld (in der EU). Die heutzutage gut etablierten Tech-Konzerne profitieren daher von einem niedrigen Zinsumfeld. Auch die Geldmenge differiert: Anfang der 2000er-Jahre war das Volumen an der Geldmenge M2 dreimal so hoch wie der Wert des Aktienindex S&P 500. Ein eindeutiges Zeichen für die Bildung der Blase und der bevorstehende Krise. Während der Pandemie wiederum wurden von der Zentralbanken und den Regierungen mehrere Hilfspakete verabschiedet, die den Märkten zusätzliche Liquidität brachten. Trotzdem liegt der S&P 500 Akienindex heute höher als die Geldmenge M2. Ein klarer Hinweis auf die wirtschaftliche Stärke und Stabilität derzeitiger Kapitalmärkte.
Klarheit schaffen: die heutige Marktsituation ist nicht eindeutig
Zusammenfassend weisen die Krisen der Dotcom-Zeit und der Coronapandemie bei oberflächlicher Betrachtung zwar viele Gemeinsamkeiten auf, allerding sind auch klare Unterschiede festzustellen. Offen bleibt, wie die Märkte reagieren werden, wenn die Zentralbanken sich zu einer weiteren Erhöhung des Leitzinses entschließen sollten. In einem solchen Fall könnten die Anlegerinnen und Anleger sowie die Investorinnen und Investoren beschließen, ihr Geld von den Wachstumsaktien zu nehmen und in konservative Werte zu investieren. Das würde die Kapitalmärkte stark beeinflussen und zu fallenden Kursen führen.
Warum beschäftigen wir uns am Touro College Berlin mit diesen Fragen? Die Antwort liegt auf der Hand: Nach mehr als 20 Jahren sinkender Zinsen, gepaart mit einer mehr als unsicheren Perspektive auf die Rente, müssen junge Leute heute für ihren Lebensabend vorsorgen. Nie war es so einfach, mit Aktien zu handeln wie derzeit. „Trade Republic“, „Robinhood“, „Etoro“ und andere kostenfreie Handelsplattformen machen den Einstieg in den Aktienhandel für jede und jeden einfach. Gleichzeitig aber fehlt der großen Mehrheit das Wissen, wie und in was man investieren sollte. Die Marktsituation ist, gerade in der Zeit der Pandemie, nicht eindeutig. Deshalb hoffen wir, mit unserem Projekt etwas mehr Klarheit zu schaffen.