• detalXrai, Brain City Berlin

    Mit künstlicher Intelligenz gegen Karies & Co.

dentalXrai ist das erste zahnmedizinische Start-up, das sich aus der Charité heraus gegründet hat. Auf den Weg gebracht wurde es über den Accelerator des Berlin Institute of Health (BIH). Wir sprachen mit einem der Gründer, Prof. Dr. Falk Schwendicke, Leiter der Abteilung Orale Diagnostik, Digitale Zahnheilkunde und Versorgungsforschung an der Charité – Universitätsmedizin Berlin.

Falk Schwendicke privat

Prof. Dr. Falk Schwendicke, Leiter der Abteilung Orale Diagnostik, Digitale Zahnheilkunde und Versorgungsforschung an der Charité – Universitätsmedizin Berlin und Mitgründer von dentalXrai.

Herr Dr. Schwendicke, ein Start-up im Medtech-Bereich zu gründen ist auch in der Gründermetropole und Brain City Berlin nicht leicht. Sie wagten es mit der Entwicklung eines KI- basierten Diagnostik-Tools für Zahnmediziner*innen. Wie kamen Sie auf die Idee? 

Die Idee stammt ursprünglich aus anderen medizinischen Feldern. Ich hatte Veröffentlichungen u. a. über die Erfolge des Einsatzes von künstlicher Intelligenz auf dem Gebiet der Melanom-Klassifikation gelesen und dachte mir: Wie kann man KI in der Zahnmedizin sinnvoll einsetzen? Ich habe damals meinen Kollegen Dr. Joachim Krois angesprochen, der an der Charité – Universitätsmedizin Berlin in meiner Arbeitsgruppe als Datenexperte arbeitete. Zusammen haben wir dann vor drei Jahren einen Piloten auf den Weg gebracht und damit das Projekt dentalXraiPro gestartet.        

Was kann dentalXraiPro?

Die von uns entwickelte Software kann mithilfe von KI-Algorithmen zahnmedizinische Röntgenbilder automatisch analysieren und hebt die Befunde farblich hervor. Innerhalb von wenigen Sekunden stellt sie ein vorbefundetes Bild zur Verfügung. Um diese Algorithmen zu entwickeln, haben wir unsere Software intensiv trainiert. Wir haben dafür auf Röntgenbilder der Charité und zahnmedizinischer Kooperationspartner in der ganzen Welt zurückgegriffen. Auf diesen Röntgenbildern wurden zuvor von Zahnärzt*innen pathologische Veränderungen oder Spuren früherer Behandlungen markiert. Aus dem Datenpool identifiziert die von uns gefütterte Software statistische Muster. Sie hat gelernt, in der Praxis zum Beispiel Karies, Infektionen und Wurzelfüllungen voneinander zu unterscheiden. 

Was haben Zahnärzt*innen davon, was Patient*innen?

Ganz wichtig ist: Unsere Software übernimmt nicht die Verantwortung für die Zahnuntersuchung und entscheidet auch nicht über Therapien. Aber sie beschleunigt die Analyse von Röntgenbildern enorm und hebt sie auf ein hochwertiges, standardisiertes Niveau. Die Analyse von Röntgendaten nimmt in der Zahnarztpraxis normalerweise viel Zeit in Anspruch. Mit dentalXraiPro haben Zahnmediziner*innen innerhalb weniger Klicks einen Befund in der Hand. Das erleichtert ihnen die Arbeit und sie können sich mehr Zeit nehmen für Gespräche mit den Patient*innen. Diese wiederum können in die Diagnose einbezogen werden, denn anhand der farblichen Markierungen sehen sie die vorhandenen Probleme und können Behandlungsvorschläge besser verstehen. 

Berlin hat im Bereich Medizin ein ausgesprochen starkes Ökosystem. 

Benötigt man nicht unendlich viele Daten, um eine KI ausreichend zu trainieren und ein zuverlässiges Diagnose-Ergebnis zu gewährleisten?

Man braucht viele Daten, aber nicht unendlich viele. Die benötigte Anzahl liegt eher im Tausenderbereich. Unser Fokus liegt daher eher auf einer größeren Datenvielfalt. Es geht uns um die Qualität der verwendeten Daten. Wie gut und wie sauber sind sie? Wie viele Experten haben vorher draufgeschaut und vor allem: Wie generalisierbar sind die Daten? Das sind auch Fragen, mit denen wir uns in dem 2019 gegründeten Arbeitskreis „Artificial Intelligence in Dental Medicine“ (AIDM) der Deutschen Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde (DGZMK) und in der zahnärztlichen Arbeitsgruppe „Artificial Intelligence for Health“ (AI4H) der ITU/WHO beschäftigen, die Joachim Krois und ich zusammen leiten.

Auf dem Markt gibt es bereits Konkurrenzprodukte. Welches sind die Alleinstellungsmerkmale von dentalXraiPro?

Drei Aspekte unterscheidet uns von den Produkten anderer Unternehmen in dem Feld. Erstens kommen wir nicht aus der Tech-Domäne, sondern aus dem zahnmedizinischen Bereich. Das spiegelt sich beispielsweise in der Usability wider: Unsere Software kann von Zahnärzt*innen intuitiv bedient werden. Zweitens ist sie sehr transparent und evidenzbasiert aufgesetzt. Sie muss schließlich unseren wissenschaftlichen Ansprüchen gerecht werden. Und drittens sind wir im Vergleich zu anderen Produkten sehr weit, was die Zulassung von dentalXraiPro als Medizinprodukt betrifft. In der Zertifizierung der Produkte liegt im MedTech-Bereich eine wesentliche Schwierigkeit. 

dentalXraiPro ist ein Beispiel für erfolgreichen Transfer von medizinischem Know-how in andere Bereiche. Sie wurden daher auch über den BIH Digital Health Accelerator (DHA) gefördert, dem gemeinsamen Technologietransfer-Programm des Berlin Institute of Health und der Charité. Wie hat Ihnen diese Unterstützung geholfen?

Wir haben uns mit unserm Piloten um die Förderung beworben und waren ab 2018 im Accelerator. Die Unterstützung umfasste Fördermittel, Co-Working-Space und Mentoring durch erfahrene Berater*innen – beispielsweise zu rechtlichen Fragen oder zum Aufsetzen eines Pitch-Decks. Entrepeneurship-Denke haben wir zwar von Anfang an mitgebracht, aber in vielen Fragen benötigt man als Start-up doch spezifische Beratung. Vor allem aber hat der Accelerator es unserem Team ermöglicht, organisch zu wachsen. Inzwischen sind wir neun. Das Team setzt sich aus verschiedenen Kompetenzen zusammen: Mediziner*innen, Datenwissenschaftler*innen und Softwareentwickler*innen. Ich bringe vor allem medizinische Expertise in das Unternehmen ein, da ich ja nach wie vor an der Charité arbeite. Die Charité selbst hat uns mit Daten, Know-how und Räumlichkeiten unterstützt. Die Förderung durch den BIH Accelerator ist inzwischen ausgelaufen.

Inwiefern profitiert dentalXrai vom Wissenschaftsstandort Berlin?
Berlin hat im Bereich Medizin ein ausgesprochen starkes Ökosystem. Das BIH gehört dazu. Davon profitieren wir natürlich, vor allem durch den schnellen Zugriff auf Wissen und Kontakte. Außerdem ist die Stadt ein attraktiver Standort für Daten- und Softwareexperten. Das erleichtert uns das Recruiting guter Mitarbeiter*innen. Auch die enge Anbindung an die Charité ist ein wesentlicher Standortvorteil für uns.  

Wie wird es nach dem BIH-Accelerator mit dentalXrai weitergehen?

Ein erster Milestone ist es, Anfang des kommenden Jahres unser Produkt auf den Markt zu bringen. Dazu benötigen wir zunächst noch die Zertifizierung als Medizinprodukt. Im zweiten Schritt geht es darum, Multiplikatoren im Markt zu gewinnen – beispielsweise Hersteller von Röntgengeräten oder Patientenmanagement-Systemen. Unsere Finanzierung ist erstmal gesichert.  

Und wo geht im Bereich KI-getriebene Zahnmedizin künftig die Reise hin?

Exakt in die Richtung, die auch wir anstreben: Vorhandene Daten besser zu nutzen. Künftig werden wir viel mehr über einzelne Patient*innen wissen als heute: durch Röntgenbilder, Fotos, klinische und anamnestische Befunde oder auch Social-Media-Daten. „Data Dentistry“ wird die Prävention auch in der Zahnmedizin deutlich verbessern und Diagnose ebenso wie die Behandlung stärker personalisieren. Die Zahnmedizin hat darüber hinaus den Vorteil, dass sie als Feld eher einige Monate später als früher neue Trends aufnimmt. Fehler, die in anderen medizinischen Bereichen gemacht wurden, werden wir nicht wiederholen. (vdo)

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