• Prof. Dr. Florian Koch im Grünen

    „Die zunehmende Urbanisierung bietet auch Chancen“

Welche Rolle spielen neue Technologien und soziale Innovationen in der Stadtentwicklung? Und welche positiven und negativen Effekte können dadurch entstehen? Als Professor für Immobilienwirtschaft, Stadtentwicklung und Smart Cities an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin (HTW Berlin) bringt  Brain City-Botschafter Dr. Florian Koch in seiner Forschung Wissenschaft, Wirtschaft und Zivilgesellschaft zusammen. Seine Projekte sind greifbare Beispiele für wirkungsvollen Wissenschaftstransfer in der Brain City Berlin. 

Herr Prof. Koch, was kann Wissenstransfer  – der Austausch zwischen Wissenschaft und Gesellschaft – im Kontext nachhaltiger Stadtentwicklung bewirken?

Stadtentwicklung wird durch viele Akteure bestimmt: Stadtverwaltung und Stadtpolitik, Unternehmen, Vereine, Bürger*innen und auch die Wissenschaft. Die Wissenschaft kann beispielsweise dazu beitragen, neue Technologien und Konzepte für urbane Nachhaltigkeit zu entwickeln. Damit diese Ideen nicht nur auf Konferenzen und in Fachzeitschriften diskutiert werden, sondern auch einen konkreten praktischen Beitrag leisten können, ist ein Wissenstransfer wichtig. Gleichzeitig funktioniert Forschung zu nachhaltiger Stadtentwicklung nicht abgeschlossen von gesellschaftlichen Entwicklungen in einem sterilen Labor, sondern im Austausch und Diskussionen mit vielen Akteur*innen –  quasi als Kontaktsport, wie der bekannte Klimaforscher Stephen Schneider es mal in einem anderen Zusammenhang genannt hat. 

Welche Zielsetzung verfolgen Sie mit Ihrer Forschung im Bereich Smart Cities und Stadtentwicklung ?

Es geht mir darum, zu verstehen, welche Rolle neue Technologien, aber auch Formen sozialer Innovationen, in der Stadtentwicklung spielen und welche positiven und negativen Effekte dadurch entstehen können. Aus einer normativen Perspektive heraus stellt sich die Frage, inwieweit ein Smart-City-Ansatz zu einer nachhaltigen Entwicklung im Sinne der Sustainable Development Goals der Vereinten Nationen (SDGs) beitragen kann. „Smart City“ ist somit kein Ziel der Stadtentwicklung, sondern sollte als Methode verstanden werden, die dabei hilft, Städte sozial und ökologisch nachhaltiger zu machen. 

Im Rahmen eines Projekts haben Sie 2019 Expert*innen-Interviews geführt, um die Rahmenbedingungen für erfolgreiche Smart-City-Projekte zu eruieren. Was kam dabei heraus?

Im Rahmen der Studie, die wir gemeinsam mit der Wirtschaftskanzlei Noerr durchgeführt haben, wurden Unternehmen und Stadtverwaltungen befragt. Interessant war, dass die meisten der Befragten nicht die technologischen Aspekte als Herausforderung für Smart-City-Projekte nannten, sondern rechtliche, ökonomische und soziale Punkte. 

Können Sie das konkretisieren? 

Es gibt in der Praxis bereits sehr viele Prototypen-Anwendungen von Smart City-Technologien, die oft auch schon gut funktionieren. Damit diese jedoch in großem Maßstab umgesetzt werden können, müssen die Rahmenbedingungen angepasst werden. Oft existieren beispielsweise noch nicht die entsprechenden rechtlichen Bestimmungen dafür oder die Frage der Finanzierung ist offen. Ein weiteres Ergebnis der Studie: Immer mehr Unternehmen beschäftigen sich mit Smart-City-Ansätzen – auch wenn oft nicht klar definiert ist, was sie eigentlich darunter verstehen. Das Themenspektrum reicht hier von Mobilität und Energie über Sicherheit und Quartiersentwicklung bis hin zum Thema E-Government.

Was kann eine Stadt wie Berlin durch smarte und nachhaltige Entwicklung erreichen?

Ich denke, dass sich Stadtentwicklung stärker an den 17 SDGs orientieren sollte, die die Vereinten Nationen 2015 verabschiedet haben. Die übergeordnete Intention der Agenda ist es, Synergien zwischen den einzelnen Nachhaltigkeitszielen zu finden. So können beispielsweise durch Maßnahmen für bessere Bildung, wie sie im SDG 4 vorgesehen werden, auch die in SDG 5 genannten Gleichstellungsziele und die Gesundheitsvorsorge (SDG 3) gefördert werden. Klimaschutzmaßnahmen im SDG 13, wie die Errichtung sogenannter Pocketparks, können zu einer höheren urbanen Lebensqualität führen, wie in SDG 11 angestrebt. Dies lässt sich in Zeiten von COVID-19 aktuell sehr gut beobachten. Bislang hinkt Berlin im Vergleich zu anderen Städten bei der Umsetzung der Sustainable Development Goals aber leider hinterher. 

 

Einer der großen Vorteile Berlins ist, dass die Stadt selbst ein spannendes Untersuchungsobjekt ist und eine Menge an Forschungsthemen bietet. Gleichzeitig gibt es hier sehr viele Einrichtungen, die sich mit den verschiedenen Themen der Stadtforschung auseinandersetzen.

Gibt es bereits Best Practice-Beispiele in Berlin?

Ich finde die Entwicklungen auf dem Gelände des ehemaligen Flughafens Tegel sehr spannend. Hier wird versucht, Nachhaltigkeit und Digitalisierung zusammenzudenken. Auch der EUREF-Campus Berlin ist ein Beispiel für zukunftsgerichtete Stadt- und Quartiersentwicklung. Und vielleicht gelingt so etwas ja auch rund um den Campus der HTW Berlin in Oberschöneweide.

In Treptow-Köpenick begleiten Sie ein Projekt wissenschaftlich, bei dem es um die Umsetzung der SDGs in dem Bezirk geht. Können Sie das Projekt kurz umreißen?

Der Bezirk erstellt gerade eine neue Nachhaltigkeitsstrategie und hat sich hierfür an den SDGs der Vereinten Nationen orientiert. Im Rahmen zweier Forschungsprojekte haben wir ein Monitoringsystem entwickelt, mit dem die Fortschritte des Bezirks hin zu mehr Nachhaltigkeit gemessen werden können. 

Gab es dabei „Key Learnings“? 

Es hat sich gezeigt, dass es neben generellen Indikatoren zur Messung der ökologischen und sozialen Nachhaltigkeit in Treptow-Köpenick wie den CO2-Emmissionen oder dem Anteil der Arbeitslosen auch spezifische Indikatoren berücksichtigt werden sollten – wie z.B. der Anteil von Mikroplastik im Müggelsee oder die Nutzung von Lastenfahrrädern im Bezirk. Außerdem stellten wir fest, dass wir zur Messung von Nachhaltigkeit nicht nur öffentliche Statistiken benötigen, sondern auch andere Datenquellen. Daher ist für das Monitoringsystem die Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft, z.B. mit Vereinen und Initiativen, sehr wichtig. 

Welche Probleme entstehen generell durch die weltweit zunehmende Urbanisierung?

Ich denke, dass die zunehmende Urbanisierung nicht nur als Problem gesehen werden sollte, sondern auch als Chance. Natürlich gibt es Herausforderungen, die durch die Urbanisierung entstehen: Wohnraum und Infrastrukturen müssen errichtet, Beschäftigungsmöglichkeiten kreiert und Mobilitätsangebote geschaffen werden. Und das alles vor dem Hintergrund des globalen Umwelt- und Klimawandels. Aber die zunehmende Urbanisierung bietet auch neue Möglichkeiten: Nachhaltige Verkehrskonzepte können nur in dicht besiedelten Gebieten funktionieren, der Flächenverbrauch pro Person ist in den Städten geringer und der Zugang zu Bildung und beruflicher Qualifikation ist in den urbanen Räumen leichter. Das heißt, für eine nachhaltige Entwicklung weltweit brauchen wir die Städte. Und wir sollten uns über neue, zukunftsfähige Konzepte der Stadtentwicklung viele Gedanken machen.

In dem noch laufenden, städteübergreifenden Forschungsprojekt „Stadt teilen“ erforschen Sie Sharing-Lösungen in sozial gemischten Nachbarschaften. Liegt im Teilen von Raum ein Schlüssel für die künftige Stadtentwicklung?

Im Rahmen des Forschungsprojekts untersuchen wir unter anderem den Wrangelkiez und den Reichenberger Kiez im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg. Hier gab es in den letzten Jahren hohen Aufwertungsdruck und Gentrifizierungsprozesse. Gemeinwohlorientierte, öffentliche Räume werden immer knapper. Wir analysieren, welche Potenziale das Teilen von öffentlichen und halböffentlichen Räumen hat. Zum Beispiel die temporäre Nutzung von Parkplätzen als Spielfläche oder die Nutzung von leerstehenden Ladengeschäften für Ausstellungen. Gerade in den dicht bebauten innerstädtischen Nachbarschaften ist ein neuer Umgang mit öffentlichem Raum vielversprechend und kann als Gegenbewegung zu einer Privatisierung der Stadt verstanden werden. 

Mit welchen Partnern aus Wissenschaft, Wirtschaft und Zivilgesellschaft arbeiten Sie in Berlin zusammen?

Mit einigen landeseigenen Wohnungsunternehmen, dem Bezirksamt Treptow-Köpenick, der Smart-City-Abteilung der Deutschen Bahn, dem CityLAB der Technologiestiftung Berlin und dem Familienzentrum Wrangelkiez

Was für Vorteile bietet die Brain City Berlin Ihnen als (Stadt-)Wissenschaftler?    

Einer der großen Vorteile ist, dass die Stadt selbst ein spannendes Untersuchungsobjekt ist und eine Menge an Forschungsthemen bietet. Gleichzeitig gibt es hier sehr viele Einrichtungen, die sich mit den verschiedenen Themen der Stadtforschung auseinandersetzen; es existieren viele Kooperationsmöglichkeiten, ein reger Austausch und viele spannende Konferenzen. Auch die Nähe zu Politik und Verbänden ist ein Standortvorteil Berlins, da man sehr nah an Diskussions- und Entscheidungsprozessen dran sein kann. (vdo)

 

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