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Foto: "Lucid Dream", Elena Kunau und Mariya Yordanova
06.09.2021Interaktion durch Emotion
ARTIFICIAL REALITY – VIRTUAL INTELLIGENCE heißt die Ausstellung, die vom 8. bis 12. September im Rahmen des Ars Electronica Garden Berlin zu sehen ist. Das hybride Event präsentiert Projekte von Studierenden des Kommunikationsdesigns der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin (HTW Berlin) in den Reinbeckhallen direkt an der Spree – und weltweit im virtuellen Raum. Die Kuratoren, Professor Andreas Ingerl und Moritz Schell M. A., erzählen im Brain City-Interview mehr über das Projekt und die Fragen, die es aufwirft.
Die globale Pandemie hat unsere Realität weiter in den virtuellen Raum verlagert. Soziale Distanzierung, die Schließung kultureller Räume und Bildungseinrichtungen und die Arbeit im Home-Office haben den Bedarf an virtuellen Räumen und Begegnungsstätten gesteigert. Doch wie sehen diese Welten aus? Wer darf daran teilhaben? Und welche Gesetzmäßigkeiten sollen hier gelten? Das sind Fragen, mit denen sich Studierenden des Kommunikationsdesigns der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin auseinandergesetzt haben. Teils entstanden die Arbeiten im Rahmen von Bachelor-Arbeiten, teils als Projektarbeiten während des Semesters. Gemeinsam haben alle in der hybriden Ausstellung ARTIFICIAL REALITY – VIRTUAL INTELLIGENCE gezeigten Exponate: Sie entstanden während des Lockdowns. Und sie loten kognitive Grenzen aus – mittels Brain Computer Interface, Sprachassistent oder einer minimal veränderten VR-Umgebung. Im „Future Technologies Lab“ werden außerdem weitere Arbeiten gezeigt, die sich mit Zukunftstechnologien und neuen Medien auseinandersetzen.
Die Ausstellung ist Kern des Ars Electronica Garden Berlin, der in diesem Jahr von der HTW Berlin ausgestaltet wurde. Wie auch im Vorjahr findet die Ars Electronica als Festival für Kunst, Technologie und Gesellschaft als hybrides-Event weltweit statt. Weitere Highlights sind ein virtueller Rave, zu dem der Ars Electronica Garden Berlin am 10. September von 21 bis 2 Uhr einlädt und die Premiere von „Cinemiracle“-Kurzfilmen am 12. September, die sich episodisch mit den Themen Zukunft und Gesellschaft befassen. Brain City Berlin sprach mit den Kuratoren, Professor Andreas Ingerl und Moritz Schell M. A. vom Fachbereich „Gestaltung und Kultur“ der HTW Berlin, über die Ausstellung und die Bedeutung der Pandemie für den kreativen Schaffensprozess.
Herr Schell, was ist das Besondere an der Ausstellung ARTIFICIAL REALITY – VIRTUAL INTELLIGENCE, die Sie zusammen mit Professor Andreas Ingerl für die Ars Electronica 2021 kuratiert haben?
Moritz Schell: Das Besondere an der Ausstellung ist, dass die gezeigten studentischen Exponate ausnahmslos in der Pandemie-Zeit entstanden sind. Sie beschäftigen sich auf verschiedenen Ebenen mit der Digitalisierung, die ja seit der Pandemie unser Leben weitaus stärker bestimmt als vorher. Und die es auch wesentlich hybrider gemacht hat.
Haben Sie ein Beispiel für ein Exponat mit hybridem Charakter?
Moritz Schell: In unserem „Student’s Future Technologies Lab“ in der Ausstellung in den Reinbeckhallen reagiert ein Roboter emotional auf die Eingabe durch Menschen. Die Eingabe funktioniert aber nicht vor Ort, sondern über eine Web-Plattform. Das heißt, mit diesem Roboter können Menschen überall auf der Welt in Interaktion treten. Vor Ort sehen wir dann die Reaktion des Roboters live. Auch unser Rave, der als ein Höhepunkt des Ars Electronica Garden Berlin am Freitag stattfinden wird, ist ein hybrides Event. Club-Begeisterte können weltweit als Avatare mitraven.
In den studentischen Projekten werden „emotionale Zustände zur Schnittstelle innerhalb der virtuellen Welt“. Können Sie das bitte erläutern?
Andreas Ingerl: Nehmen wir die Installation „Lucid Dream“ von Elena Kunau und Mariya Yordanova. Die Besucherinnen und Besucher interagieren dabei mittels eines Brain Computer Interface mit einer virtuellen Traumsequenz. Das Spannende und wiederum auch Seltsame an dem Projekt: Man hat keinen Controller in der Hand. Vielmehr trägt man ein Headset, das über Sensoren verfügt. Die Steuerung funktioniert über den mentalen Zustand. Je nachdem, ob ich entspannt oder angespannt bin, löse ich die nächste Traumsequenz aus oder nicht.
Sind in das Headset Elektroden integriert?
Andreas Ingerl: Exakt. Das Headset misst die Gehirnaktivität über drei Kontaktpunkte. Auf Grundlage der ermittelten Daten werden dann „emotionale“ Zustände abgeleitet. Das Headset, das wir in der Ausstellung benutzen – und teilweise auch in der Forschung und Lehre an der HTW Berlin – ist die reduzierte Version eines medizinischen Headsets. Es wird bereits im Home-Consumer-Bereich eingesetzt, beispielsweise beim Meditieren. Damit lassen sich emotionale Zustände ableiten: Entspanntheit, Aufgeregtheit, Konzentration etc.
Das Objekt „paradigm shift“ von Maria Bürger hingegen nutzt einen Sprachassistenten, oder?
Moritz Schell: Genau, hier ist die Interaktion eine andere. Die Besucherinnen und Besucher sprechen in dieser Installation über ein Sprachinterface mit einer künstlichen Intelligenz. Im Hintergrund läuft ein nonlineares Skript. Und je nachdem, wie ich mich mit dieser KI in der Virtuellen Realität unterhalte, erzählt sie mir eine andere Geschichte. Der Sprachassistent beginnt sukzessive, die Besucherinnen und Besucher zu manipulieren. Die Fragestellung lautet hier: Inwiefern werden Maschinen uns in Zukunft beeinflussen – oder tun sie es bereits heute?
Andreas Ingerl: Als Kommunikationsdesignerinnen und -designer sind wir nicht diejenigen, die einen Großcomputer mit Daten füttern und anschließend die Ergebnisse analysieren. Wir sind uns vielmehr dessen bewusst, was eine Künstliche Intelligenz liefern kann. Und wir spielen mit den Effekten, die sie auf uns hat – im Positiven wie im Negativen. Was ist denn letztlich Manipulation? Liegt sie in meiner eigenen Medienkompetenz oder in dem, was mir das Gegenüber liefert? Im Fall vom „paradigm shift“ reagiert die KI im Grunde nur auf das, was ich ihr liefere. Das heißt, alles was sie tut, ist im Grunde durch mich intendiert.
Was können die Besucherinnen und Besucher aus der Ausstellung mitnehmen?
Andreas Ingerl: Sämtliche Installationen, die wir zeigen, beschäftigten sich mit zukünftigen Technologien. Sie thematisieren aber eher Fragestellungen des gesellschaftlichen Zusammenlebens und der individuellen Beeinflussung in der Zukunft als die rein technischen Ebene. Sie bieten außerdem Gelegenheit, den direkten Dialog mit den Studierenden zu suchen – und diesen in der Ausstellung selbst weiterzuführen. Es geht uns darum, die Diskussion unserer Fragestellungen nach außen zu tragen.
Sie erwähnten anfangs, sämtliche Exponate seinen während der Pandemie entstanden. Inwiefern spiegelt die Ausstellung das wider?
Andreas Ingerl: Ich würde zunächst gern noch eine kleine Runde drehen: Der Ars Electronica Garden ist zunächst einmal eine ganz klassische Ausstellung. Mit den Exponaten kann man interagieren. Es handelt sich durchwegs um studentische Arbeiten, die in einer Zeit entstanden sind, die für uns alle durch Einschränkungen definiert war. Wir haben mit unseren Studierenden versucht, Positives daraus zu ziehen und die Dinge voranzutreiben. Zum anderen waren wir durch die Pandemie natürlich gezwungen, in das Digitale zu gehen. Wir mussten die Ausstellung hybrid zugänglich machen – was nach vor recht undefiniert ist. Wir, ebenso wie die anderen Aussteller der Ars Electronica Gardens, haben experimentiert und nach Lösungen gesucht. Denn die Pandemie war für uns alle sowohl ein Black Swan-Ereignis, das sehr überraschen kam, als auch Wild Card. Das heißt, eigentlich bot die Pandemie uns sowohl im Positiven wie im Negativen eine riesengroße Chance, neue Themen aufzumachen und weiterzuentwickeln. Sie hat plötzlich Türen geöffnet zur Virtualität. Jetzt müssen wir schauen, was Sinn macht und was nicht. Das sind spannende Felder, die es zu beackern gilt.
Sind bereits Anschluss-Projekte geplant?
Moritz Schell: Im Anschluss an ARTIFICIAL REALITY – VIRTUAL INTELLIGENCE ist eine Ausstellung im Futurium geplant. Einige der hier gezeigten Arbeiten werden dort zu sehen sein. Deswegen ist der größte Teil der Ausstellung auch als Labor betitelt, weil wir sie nicht als abgeschlossenes Projekt betrachten. Als vorwiegend gestalterischer Studiengang verstehen wir unsere Arbeit als iterativen Prozess.
Andreas Ingerl: Wir wollen die Studierenden befähigen, nicht nur in Richtung Kunst zu denken. Oder rein auftragsorientiert, wie im Kommunikationsdesign. Wir bespielen das Dazwischen. Wir wollen die Studierenden in Denk- und Erfahrungssituationen bringen, die sowohl eine künstlerische als auch angewandte Komponente beinhalten. Das schwingt in sämtlichen Exponaten mit. Im Grunde arbeiten wir dabei nach den klassischen wissenschaftlichen Gütekriterien, aber wir suchen auch immer nach der Anwendung oder der Provokation.
Arbeiten Sie am Fachbereich auch mit anderen Forschungsinstitutionen zusammen?
Andreas Ingerl: In Berlin ist man ja per se vernetzt. Anknüpfungspunkte, beispielsweise zur Freien Universität Berlin, bestehen natürlich. Das wollen wir Stück für Stück weiter aufbauen. Unsere Fühler gehen nach außen. So wird es langfristig auch mit dem Art Electronica Garden Berlin sein. Ich habe das Thema bereits in unser neues KI-Cluster getragen. Es laufen Diskussionen, wie wir 2022 gemeinsam mit dem Fachbereich Ingenieurwissenschaften der HTW Berlin einen Beitrag für die Ars Electronica gestalten können. Das geht dann ganz schnell über die Grenzen der Hochschule heraus. Die Ars Electronica stand schon immer in der Tradition, verschiedene Disziplinen zu vermischen. Es geht um wissenschaftliche Erkenntnisse, aber auch um künstlerische Auseinandersetzungen damit.
Und um kreativen Austausch auf internationaler Ebene?
Andreas Ingerl: Genau. Im Rahmen der Vorbereitung hatten wir kürzlich in virtuelles Meeting mit allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Gardens und haben uns gegenseitig unserer Konzepte vorgestellt. Das ist einer der vielen spannenden Aspekte der Ars Electronica Gardens: Dass über die Plattform Austausch und neue Ideen entstehen. (vdo)
Mehr Informationen und Tickets
Ars Electronica Garden Berlin
8. bis 12. September 2021, Stiftung Reinbeckhallen, Reinbeckstr. 11, 12459 Berlin.
Das Online-Ticket für die Ars Electronica 2021 kostet 9 EUR für 5 Tage.
Ars Electronica Garden Berlin Rave, 10. September, 21 bis 2 Uhr
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