„Wissenschaft muss neugierig machen“

11.06.2019 | In Zeiten von Fake News und pseudowissenschaftlichen Veröffentlichungen fällt es vielen Menschen schwer, seriöse von unseriösen Inhalten zu unterscheiden. Lediglich 54 Prozent aller Deutschen vertrauen den Ergebnissen von Wissenschaft & Forschung – das ergab das Wissenschaftsbarometer 2018 der Initiative Wissenschaft im Dialog. Weitere 39 Prozent der Bundesbürger*innen stehen der Wissenschaft unentschieden gegenüber, 7 Prozent zeigen kein bzw. kaum Vertrauen. Umso wichtiger sind Events wie die Lange Nacht der Wissenschaften (LNDW) in der Brain City Berlin. Denn sie bieten der Öffentlichkeit einen breiten Einblick in die Welt der Forschung.

#LNDW19

Am 15. Juni 2019 gibt die klügste Nacht des Jahres Interessierten wieder spannende Einsichten in die Arbeit von über 60 wissenschaftlichen und wissenschaftsnahen Einrichtungen in der Brain City Berlin. Mehr als 2.000 Vorträge, Wissenschaftsshows, Führungen, Diskussionen und spektakuläre Experimente stehen in diesem Jahr zwischen 17 und 24 Uhr auf dem Programm. Ein thematischer Schwerpunkt ist der Klimawandel.

Auch die Beuth Hochschule für Technik Berlin ist mit 95 Veranstaltungen bei der inzwischen 19. Langen Nacht der Wissenschaften in Berlin und Potsdam dabei. Unter anderem wird im Gewächshaus der Hochschule demonstriert, wie mithilfe von Infrarot-Kameras Gemüse ressourcenschonend bewässert werden kann. Und wer immer schon mal wissen wollte, wie viel Mikroplastik das Trinkwasser daheim enthält, kann eine Wasserprobe mitbringen und vor Ort analysieren lassen.

Wir sprachen mit Prof. Dr. Monika Gross, Präsidentin der Beuth Hochschule für Technik Berlin, über die zunehmende Wissenschaftsskepsis und darüber, wie Wissenschaft & Forschung verlorenes Vertrauen festigen können. (vdo)

 

5 Fragen an Frau Prof. Dr. Monika Gross, Präsidentin der Beuth Hochschule für Technik Berlin

 

1. Frau Prof. Dr. Gross, das Misstrauen der Öffentlichkeit gegenüber der Wissenschaft sinkt laut Wissenschaftsbarometer 2018. Worin liegt diese Skepsis begründet?
Medien, nicht nur Internet und soziale Medien, springen zu schnell auf ein Thema an und recherchieren selbst nicht mehr genau. Ein gutes Beispiel war die Aussage einiger weniger Lungenärzte (107 von 3800) in Bezug auf die Feinstaubwerte im Januar 2019. Ohne Recherche wurde dieser These im Fernsehen usw. eine hohe Aufmerksamkeit gegeben. Auch die Politik sprang gleich auf den Medienzug mit auf.

Dieses Beispiel zeigt meines Erachtens, dass auch der Journalismus, vor allem der Wissenschaftsjournalismus, eine hohe Verantwortung trägt, die Sachlichkeit bei Themen nicht einem Hype und hoher Medienaufmerksamkeit zu unterwerfen.

2. Trägt der heute geforderte und geförderte Wissens-Transfer zwischen Hochschulen, Forschung und Wirtschaft zur allgemeinen Wissenschafts-Skepsis bei?
Wie kommen Sie zu dieser fast schon absurden Schlussfolgerung? Ich gebe Ihnen ein Beispiel, das Ihre „These“ widerlegt: Mit dem 2018 eröffneten BIT6 Berlin Innovation Transfer, einem aus vier staatlichen und zwei konfessionellen Berliner Hochschulen bestehenden Verbund zur Stärkung des Transfers zwischen Hochschulen, Wirtschaft und Gesellschaft, zeigt sich das Gegenteil.

Der Verbund ist mit seinem  BIT6 City Office, dem BIT6 Transfermobil und dem BIT6 Gründungszentrum auch außerhalb ihrer Standorte im Stadtbild von Berlin präsent und die Mitglieder kommen mit Unternehmen aber auch mit Bürgerinnen und Bürgern so direkt ins Gespräch. Durch die persönliche Ansprache können anwendungsorientierte Lösungsansätze für soziale, wirtschaftliche und gesellschaftliche Fragestellungen der Öffentlichkeit unmittelbar näher gebracht werden. Hier treffen wir eher auf Neugierde als auf Skepsis.

3. Fake Science, pseudowissenschaftliche Veröffentlichungen, Junk Journals – wie können „Normalbürger*innen“ unterscheiden, welche Beiträge und Informationen seriös sind und welche nicht?
Verfügt man selber nicht über das spezifische Fachwissen, ist es sehr schwierig, Sachverhalte richtig zu beurteilen oder einzuschätzen. Kann man die neu dargelegten Ergebnisse also solide einordnen oder muss man sie mit Skepsis betrachten? Es gibt eine Reihe von Warnsignalen für unseriöse Pseudowissenschaften oder Fake Science. So werden in verschiedenen Bereichen unklare Testmethoden genutzt – es wird z. B. in einer Studie nicht klar dargelegt, welche Parameter gemessen wurden, welche Ergebnisse erfasst und welche ignoriert wurden. Eine solche Studie kann dann nur als nutzlos eingestuft werden. Oder es werden als Nachweis für eine Wirksamkeit nur zufriedene Kunden zitiert, dabei jedoch keine brauchbaren Studien herangezogen.

Pseudowissenschaften versuchen stets, den Anschein von echter Wissenschaft zu erwecken, in dem sie uns mit der passenden Fachsprache, dem Zitieren von anderen (Fach-)Artikeln etc. auf eine falsche Fährte locken. Die Methodik ist jedoch der entscheidende Unterschied. Wissenschaft publiziert Artikel im Peer Review-Verfahren: nach einer Begutachtung durch Expertinnen und Experten zwecks Qualitätskontrolle. Wissenschaftliche Theorien werden durch bekannte Nachweise untermauert, Theorien sind falsifizierbar – für all dies stehen die Pseudowissenschaften nicht.

4. Was können wissenschaftliche Einrichtungen tun, um das Vertrauen der Öffentlichkeit zu festigen  bzw. zurückzugewinnen?
Heute müssen wir Informationen viel mehr und viel schneller verarbeiten und einordnen als noch vor wenigen Jahren – ob es sich nun um geprüfte  oder ungeprüfte Daten handelt. Was also ist zu tun? Wissenschaftliche Einrichtungen sollten noch mehr als zuvor den Dialog mit der Öffentlichkeit suchen. Ergebnisse und wissenschaftliche Erkenntnisse müssen so formuliert und aufbereitet werden, dass sie allgemein verständlich sind. Wissenschaftler*innen müssen noch stärker darstellen, welchen Nutzen die Ergebnisse für den Menschen haben.

Wissenschaft muss neugierig machen, selbst wenn sie auf den ersten Blick vielleicht kompliziert erscheint. Dafür müssen wir uns alle einsetzen und engagieren.

5. Welche Rolle spielen in diesem Zusammenhang Veranstaltungen wie die Lange Nacht der Wissenschaften Berlin?
Eine große Rolle! Die Beuth Hochschule für Technik Berlin ist bereits im 18. Jahr bei der Langen Nacht der Wissenschaften vertreten. In jedem Jahr haben die Besucherzahlen zugenommen. Und jedes Jahr kann ich aufs Neue beobachten, mit welch großer Freude und Neugierde sowohl Jung als auch Alt die Angebote der Kolleginnen und Kollegen aus den Studiengängen und Laboren annehmen. Es werden aber auch kritische Nachfragen gestellt, die ein echtes Interesse an der Wissenschaft erkennen lassen.

Ein Format wie die Lange Nacht der Wissenschaften öffnet nicht nur Türen sondern auch Horizonte: viele Bürgerinnen und Bürger, die im Alltag keine Berührungspunkte mit wissenschaftlichen Einrichtungen haben,  nutzen an diesem Abend ganz bewusst die Chance, sich zu informieren.  

 

Die Lange Nacht der Wissenschaften findet am 15. Juni 2019 von 17 bis 24 Uhr statt. Tickets kosten 14 EUR, ermäßigt 9 EUR. Als Wertschätzung der Veranstalter gegenüber dem Engagement von Jugendlichen für den Klimaschutz im Rahmen der Fridays for Future-Bewegung gibt es kostenlose Schülergruppentickets online.