Prof. Dr. Regine Buchheim
Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin (HTW)

Brain City Berlin

Brain City Berlin-Botschafterin: Prof. Regine Buchheim (Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin (HTW))

 

Fachbereich Wirtschafts- und Rechtswissenschaften

 

Regine Buchheim ist Professorin für Betriebswirtschaftslehre an der Hochschule für Technik und Wirtschaft und forscht zur internationalen Bilanzierung, aber auch zum Steuer(un)recht im Nationalsozialismus. Warum Geschichte heute noch wichtig ist und was auch die Studierenden daraus lernen können, sagt sie uns in unserem Brain City-Interview.

Interview

Frau Buchheim, seit 2006 lehren Sie an der HTW Berlin internationale Rechnungslegung und externes Rechnungswesen. Das hört sich für einen Außenstehenden zunächst einmal etwas trocken an. Trügt der Eindruck?

Das Erlernen der Technik der Doppelten Buchführung fürchten tatsächlich einige Studierende. Wer paukt schon gerne Vokabeln einer Fremdsprache oder löst mathematische Gleichungen? Wer aber diese mehr als 500 Jahre alte Technik beherrscht, kann in jedem Betrieb weltweit arbeiten und die Lage von Unternehmen und vielen anderen Institutionen besser beurteilen.

 

Können Sie Ihr Fachgebiet einem Laien kurz erklären?

Die Technik der Buchführung ist weltweit gleich, aber die Regeln, wann ein Unternehmen Gewinne bucht, wie es sein Vermögen bewertet oder ob eine Rückstellung gebildet werden muss, nicht. Für börsennotierte Unternehmen haben sich weltweit die Internationalen Rechnungslegungsstandards (IFRS) durchgesetzt, die mein Spezialgebiet sind. Die Finanz- und Vermögenslage und die Gewinne dieser Unternehmen sind dadurch vergleichbarer, als wenn nach nationalen Vorschriften „gerechnet“ würde, die sich sogar innerhalb der EU noch sehr unterscheiden. Das ist zunächst natürlich für Banken bei der Kreditvergabe und die Anleger wichtig, die sich ja beispielsweise nicht nur für Aktien deutscher Automobilhersteller interessieren, sondern auch für Toyota oder Tesla.  Aber die ganze Gesellschaft benötigt zeitnahe Informationen über Lage und Erfolg von Unternehmen. Nehmen wir Volkswagen: Für „Diesel-Gate“ mussten im Geschäftsjahr 2015 Rückstellungen von rund 15 Mrd. Euro gebildet werden, damit rutschte der Konzern in einen Milliardenverlust. 2016 mussten nochmal 6,4 Mrd. als Aufwand verbucht werden. Diese Schätzung des Vorstands gibt auch den Arbeitnehmern eine wichtige Information über das Ausmaß der finanziellen Katastrophe, das Land Niedersachsen weiß, dass es keine Gewerbesteuereinnahmen haben wird. Schließlich werden auch die Gewinnsteuern auf Basis von Bilanzen erhoben.

 

Welche Forschungsfragen stellen sich da?

Umgangssprachlich ziehen wir ja alle immer wieder mal Bilanz. Das müssen haftungsbeschränkte Unternehmen mindestens einmal im Jahr für ihre Anteilseigner, Kreditgeber und die Gesellschaft, aber auch Bundesligavereine oder politische Parteien. Die Frage ist: Wie sollten die Regeln für diesen Jahresabschluss sein, damit alle Beteiligten Vertrauen in die Informationen haben und durch Transparenz profitieren? Auf internationaler Ebene stellen sich für börsennotierte Konzerne dabei oft ganz andere Fragen als für  den Mittelstand und Start-ups, die nach deutschem Recht bilanzieren. Trotz der vermeintlichen Rationalität der globalen Kapitalmärkte sind nämlich auch global tätige Konzerne stark von nationalen Traditionen ihrer Zentralen geprägt. Das habe ich mit Kollegen gerade in einer großen Studie zur Quartalsberichterstattung von britischen, französischen und deutschen Aktiengesellschaften nachgewiesen.

 

 

Sie forschen außerdem zum Steuerrecht im Nationalsozialismus und haben die systematische Enteignung der Juden durch die Finanzverwaltung aufgezeigt. Was hat sie an diesem Thema nach so langer Zeit gereizt?

Mich hat interdisziplinäre Forschung schon immer gereizt, vor allem an der Schnittstelle von Wirtschafts- und Rechtswissenschaften. Eher zufällig kam nun die Geschichtswissenschaft dazu.

Erst kurz vor der Jahrtausendwende sind wichtige Akten aus der NS-Zeit der Forschung zugänglich geworden. Das betraf Unterlagen regionaler Finanzämter, aber zum Beispiel auch rund 40.000 Enteignungsakten aus Berlin- Brandenburg, die den legalisierten Raub jüdischen Vermögens akribisch festhalten. Die Historiker haben dadurch schon wesentliche Erkenntnisse zum „Finanztod“ der jüdischen Bevölkerung gewonnen, die aber in den Wirtschafts- und Rechtswissenschaften schlicht nicht zur Kenntnis genommen wurden. Außerdem scheint mir, dass ich als Wirtschaftswissenschaftlerin die Analyse der Historiker ergänzen kann.

 

Warum ist die Geschichte des deutschen Steuerrechts und der Finanzverwaltung heute noch wichtig, was kann man daraus lernen?

Leider bleibt uns nichts anderes übrig, als aus unserer Vergangenheit zu lernen. Ich wüsste ja selber gerne, welche Fehler ich morgen machen werde. Oder wie sich der Aktienkurs von SAP entwickeln wird. Mir bleibt aber bei SAP nichts anderes übrig, als mir anhand der Rechnungslegung die Entwicklung von SAP im Vergleich zu anderen Softwareherstellern in der Vergangenheit anzuschauen und zusammen mit tagesaktuellen Informationen eine Prognose zu versuchen.

Der Blick zurück ins Dritte Reich zeigt, wie sich Beamte und Richter schleichend radikalisiert haben. Sicher die meisten nicht persönlich, aber im Ergebnis ihrer Arbeit. Und wie heute gilt: Vor allem die Schreibtischtäter müssen verhindert werden.

 

Inwiefern ist Berlin für Ihre Forschungsgebiete der richtige Standort?

Berlin ist Bundeshauptstadt, hier fallen viele politische Entscheidungen; Lobbygruppen, Think Tanks und NGOs haben hier ihren Sitz. Die Hochschul- und Wissenschaftslandschaft ist einzigartig: Mit Kollegen einer französischen Universität, die auch einen Standort in Berlin hat, habe ich gerade eine Studie abgeschlossen. Zugleich beherbergt Berlin das Bundesarchiv und damit die wichtigsten Dokumente unserer Vergangenheit. Dort forsche ich gemeinsam mit einem Historiker, der als Steuerexperte im Bundesfinanzministerium arbeitet.

 

Welche Eigenschaften muss man aus Ihrer Sicht mitbringen, um wie Sie in die Welt der Wissenschaft und Forschung einzusteigen?

Neugier, Spaß am Lernen sowie die permanente Bereitschaft, exakt zu arbeiten und sich Kritik zu stellen. Aber noch wichtiger ist mir die Lehre: Wissen zu vermitteln, Interesse am eigenen Fachgebiet zu wecken und junge Leute im positiven Sinn herauszufordern ist ein schöner Beruf.

 

Sie sind in Berlin aufgewachsen und haben an der FU Berlin und in Belgien studiert. Warum sind Sie  in Berlin geblieben? Was reizt Sie an der Stadt, abgesehen davon, dass sie Ihre Heimat ist?

Ich konnte auch nach dem Studium international arbeiten und forschen – mit Berlin als Lebensmittelpunkt. Durch Digitalisierung und IT ist das ja heutzutage kein Problem. Für mich die perfekte Mischung: Familie und Freunde um mich herum, wohnen fast wie auf dem Dorf im Grünen und zugleich in einer der spannendsten internationalen Metropolen.