Fitness-Training für das Hirn

21.05.2019 |Ob Kniffelspiel oder Sudoku – Gehirntraining gibt es bereits seit Jahrzehnten. Das Berliner Start-up NeuroNation bietet es per Web oder App an. Das Besondere an dem Online-Trainingsprogramm: Es wurde in enger Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern der Freien Universität Berlin entwickelt. Das 2011 gegründete Unternehmen, das nach wie vor in der Brain City Berlin seinen Sitz hat, gilt inzwischen als das größte und erfolgreichste Online-Gehirntraining in Europa. Der studierte Wirtschaftsinformatiker Jakob Futorjanski ist Geschäftsführer und einer der Gründer von NeuroNation. Im Interview erzählt er mehr über das Unternehmen, wie Training unser Hirn fit halten kann und warum es wirkungsvoll gegen Krankheiten wie Alzheimer, Huntington’s Desease oder Parkinson eingesetzt werden kann.

Die Forschung zeigt inzwischen, dass durch gezieltes Training die Leistungsfähigkeit des Arbeitsgedächtnisses auch im höheren Alter noch gesteigert werden kann.

Herr Futorjanski, 2011 ging NeuroNation an den Start. Als bisher einziges kognitives Online-Trainingsprogramm, das zusammen mit Wissenschaftlern entwickelt wurde. Wie kamen Sie auf die Idee?

Die Faszination für Rätsel und Gedächtnisspiele war bei mir schon immer da. Bereits als Kind hat mein Vater mit meiner Schwester und mir Rätselspiele gespielt. Das ist bis heute so: Immer, wenn wir uns treffen, hat mein Vater ein Rätsel auf Lager. Die Idee zu NeuroNation wurde allerdings erst konkret, als ich meinen Co-Founder Rojahn Ahmadi traf, der sich als Tutor an der Technischen Universität Berlin mit dem Thema Künstliche Intelligenz beschäftigte und bereits einige Online-Spiele mit seiner Firma One Extra Games entwickelt hatte.

Und wie entstand die Zusammenarbeit mit der FU Berlin?

Dr. Michael Niedeggen, Professor für allgemeine Psychologie und Arbeitspsychologie an der Freien Universität Berlin, sprach Rojahn Ahmadi an. Er suchte nach wirkungsvollen Ansätzen, die Merk- und Denkfähigkeit von Menschen zu steigern. Ein Grundproblem war, dass die Teilnehmer seiner Projekte schwer zu motivieren waren. Die Drop-out-Rate war hoch. Schnell entstand die Idee, kognitives Online-Training mit einem spielerischen Ansatz zu verbinden und damit den Spaß am Lösen der Aufgaben in den Vordergrund zu stellen.

Das hat funktioniert. Der wissenschaftliche Grundstein von NeuroNation war damit gelegt. Außerdem zeigte sich, dass mit den spielerischen Übungen das Arbeitsgedächtnis der Probanden wirkungsvoll gesteigert werden konnte und sie das Training gern ihren Freunden und Familien zeigen wollten.

 

Warum ist das wichtig?

Das Arbeitsgedächtnis ist für die Lösung komplexer Aufgaben entscheidend. Es hilft uns zu sprechen, zu lernen, Muster zu erkennen, schlussfolgernd zu denken und Informationen korrekt abzurufen. Die Forschung zeigt inzwischen, dass durch gezieltes Training die Leistungsfähigkeit des Arbeitsgedächtnisses auch im höheren Alter noch gesteigert werden kann.

Das heißt konkret?

Selbst bei 90-Jährigen bilden sich im Gehirn noch neue Nervenzellen, man spricht hier von der „adulten Neurogenese“ des Hippocampus. Diese zentrale Schaltstelle unseres Gehirns ist unter anderem für Denkprozesse mitverantwortlich. Voraussetzung für die Neurogenese ist allerdings, dass das Arbeitsgedächtnis systematisch trainiert wird. Nach der sogenannten „Puffer-Theorie“ kann das Gehirn durch kognitives Training zusätzliche kognitive Ressourcen aufbauen, die dann bei Anstrengung abgerufen werden und als Puffer gegen neurodegenerative Erkrankungen dienen. Ähnlich wie Muskeln, die durch sportliches Training zusätzliche Fasern aufbauen. Diese Fähigkeit nutzt NeuroNation. Mithilfe unserer Computerized Cognitive Trainings-Module trainieren unsere Nutzer ihr Arbeitsgedächtnis. Sie fördern ihre Stärken und arbeiten gezielt an ihren Schwächen. 

Neuronation ist also eine Art Fitness-Studio für Gehirn?

Exakt. In enger Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern haben wir inzwischen 60 Übungsprogramme entwickelt, die in ihrer Gesamtheit zwölf Hirnfunktionen ansprechen – von der Geschwindigkeit des Denkens über die Aufnahmefähigkeit und Schlagfertigkeit bis hin zum Sprachgeschick.

Und das Training funktioniert?

Das bestätigen Studien der FU Berlin und der MSH Medical School Hamburg. Mit jedem neuen Nutzer lernt das System dazu und wird noch präziser. Nach ungefähr 20 Stunden Training lässt sich im MRT eine Veränderung im Gehirn erkennen: Die weiße Materie, also die Fettschicht um die Nervenzellen herum wird stärker, das Zusammenspiel der Neuronen effizienter. Je häufiger Neuronen miteinander feuern, desto leistungsfähiger spielen sie zusammen – gemäß der bereits 1949 aufgestellten Hebbschen Lernregel „What fires together, wires together“.

In welchen Bereichen kann Ihr Gehirntraining eingesetzt werden?

Zum einen geht es uns um die Prävention von Gedächtnisverlust. Im Zuge des demografischen Wandels wird sich die Anzahl von Menschen, die an Demenz erkranken, in den kommenden Jahren verdoppeln. Studien haben gezeigt, dass sich das Risiko einer Erkrankung durch computerbasiertes Gehirntraining um rund 48 Prozent reduzieren lässt. Eine weitere Zielsetzung und zugleich unsere Vision ist es jedoch, unser kognitives Training als therapeutische Erstintervention bei leichten kognitiven Beeinträchtigungen und Krankheitsgruppen wie Demenz, Huntington’s Desease, Parkinson, oder nach einem Schlaganfall für die Rehabilitation einzusetzen. Die Klinik für Neurologie an der Charité – Universitätsmedizin Berlin etwa untersucht derzeit im Rahmen eines Projekts, ob durch unsere Gehirntrainingsübungen chemotherapiebedingte kognitive Beeinträchtigungen gemindert werden können. Wenn es dem Gehirn nicht gut geht, braucht es häufige Stimulation.

 

Warum sitzen Sie mit Ihrem Unternehmen nach wie vor in Berlin?

Eine gute Frage. Wir haben inzwischen rund 15 Millionen Mitglieder in 200 Ländern. Aber Berlin bietet uns wichtige Standortvorteile: Zum einen kann man hier gute Mitarbeiter finden. In Berlin sitzen so ziemlich die besten Software-Entwickler Deutschlands. Das ist für uns entscheidend, denn wir sind ein Softwareentwicklungs-Unternehmen. Zum anderen gibt es hier viele hochkarätige Informations-Veranstaltungen – sowohl im Bereich Gesundheit als auch im Bereich Technologie. Berlin ist für uns eine ideale Plattform für Austausch und Netzwerken in den unterschiedlichsten Bereichen. Spannend ist für uns natürlich auch die Nähe zur Wissenschaft und Forschung in der Stadt. So konnten wir beispielsweise den Kontakt zum Bundesministerium für Bildung und Forschung auf kurzem Wege aufbauen. Das BMBF unterstützt aktuell unsere Kooperationsprojekte „Brain“ und „Intera-KT“. Diese zielen auf die digitale Diagnostik von Demenz und die computerunterstützte Rehabilitation von erworbenen kognitiven Beeinträchtigungen ab.

Der Wissenschaftsstandort Berlin gilt auch als sehr offen und international.

Das kann ich definitiv bestätigen. Auch was die Finanzierung von Projekten betrifft. Die Konzentration an Smart Money in Berlin ist ausgesprochen hoch. Man kann mit potenziellen Investoren viele gute Gespräche führen. In anderen Städten ist das bei weitem nicht so einfach.
 
Kommen wir abschließend noch mal zum Gehirn: Was kann man tun, um geistig möglichst lange fit zu bleiben?

Das Gehirn ist ein starker Energie-Konsument. Insofern ist die Basis eine gute Ernährung: möglichst viele pflanzliche Mahlzeiten, Nüsse, frisches Gemüse und Fisch. Schlaf ist ebenfalls wichtig, denn dabei wird das Gehirn von Giftstoffen gereinigt, die sich während des Tages angesammelt haben. Auch Bewegung hilft, da das Gehirn dadurch besser durchblutet wird. In Kombination mit kognitivem Training bleibt unser Gehirn so länger fit und gesund. (vdo)