Lebende Kunst im Dienste der Wissenschaft: Die neue Ausstellung Living Canvas im STATE Studio Berlin lässt ein lebendiges, luftreinigendes Werk wachsen.

Das STATE Studio in Berlin vereint die Felder der Kunst und der Wissenschaft – wir sprachen im Interview mit der Kuratorin Johanna Wallenborn über die Ausrichtung des Projekts und mit der Künstlerin Fara Peluso über die neue Ausstellung „Living Canvas“.

 

Die Schnittstelle zwischen Wissenschaft, Kunst und Gesellschaft: Mit steigender Forschungsgeschwindigkeit wird das Bedürfnis, Innovationen in der Gesellschaft frühzeitig erfahrbar und nachvollziehbar zu machen, immer größer. Und auch von der anderen Seite ist das Interesse groß: Künstler*innen, Designer*innen, Entwickler*innen und Bürger*innen sind interessiert und möchten sich über mögliche Chancen und Konflikte der Menschheitsentwicklung austauschen. Die großen Fragen der Gegenwart darüber, wie wir in Zukunft miteinander leben und unsere Gesellschaft und Umwelt formen möchten, tangieren uns alle.

Der Open Science Approach - der Ansatz, Wissenschaft und Forschung einer breiten Öffentlichkeit einfach, kostenlos und verständlich zugänglich zu machen - und Begegnungsstätten wie das STATE Studio in Berlin helfen dabei, greifbare Innovationen und ferne Zukunftsvisionen durch Kunstprojekte zur philosophischen Disposition zu stellen und einen Dialog auf Augenhöhe zwischen den verschiedenen Akteuren zu eröffnen.

Die Neugier auf den Dialog und dabei entstehende neue Erkenntnisse waren demnach auch der Antrieb zur Gründung des STATE und der Ausstellungsreihe Field Experiments, wie uns die Ko-Kuratorin Johanna Wallenborn mitteilte.

Johanna Wallenborn: STATE Studio ist ein Raum, in dem zukünftige Entwicklungen im Hier und Jetzt diskutiert werden können. Ziel ist es, die Folgen von Forschungsentwicklungen auf gesellschaftlicher und philosophischer Ebene zu reflektieren. Mit Field Experiments platzieren wir sie in einer Erlebnisausstellung und werfen ein Licht auf das Kommende. Partizipative Exponate ermöglichen eine Interaktion und ein Feedback von Seiten des Publikums, wie z.B. bei Farming the Uncanny Valley, einem interdisziplinären Forschungsprojekt mit der Universität der Künste Berlin, Fraunhofer Umsicht, YOU.SE und Förderung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Sechs verschiedene Künstler und Designer entwickelten Prototypen, die neue Formen der Kommunikation und Beteiligung an der Bioökonomie im Hinblick auf eine nachhaltige Zukunft erkunden. Wir wollen herausfinden, wie wir uns eine solche zukünftige Bioökonomie gemeinsam vorstellen können, deshalb luden wir unsere Besucher ein, mit den Prototypen auf verschiedenen Ebenen zu interagieren. Die Besucher können dabei ihre persönlichen Gedanken, Ideen und Eindrücke hinterlassen. Das Feedback fließt in das Projekt zurück und hilft uns, unsere Interaktionsmöglichkeiten zu verbessern. 

Generell sind alle unsere ergänzenden Lesungen und Ausstellungsmaterialien so geschrieben und gestaltet, dass sie für Experten und Nicht-Experten gleichermaßen verständlich sind, unabhängig von ihrem Alter. Durch einführende Fragen wollen wir unser Publikum einbeziehen und motivieren, kritisch zu reflektieren.


Nach einigen internationalen Stationen hat STATE in Berlin ein fruchtbares Zuhause für seine Forschung und Ausstellungen gefunden, nachdem es 2014 als Ausgründung aus dem Paul-Drude-Institut für Festkörperelektronik von dem Physiker Dr. Christian Rauch ins Leben gerufen worden ist, der nun als Geschäftsführer und Kurator fungiert.

Johanna Wallenborn: Das STATE Pop Up Studio LA und die STATE of AI Ausstellung waren ein Meilenstein und ein Wendepunkt für uns und im Wesentlichen der Beginn des STATE Studio Berlin. Ein festes Zuhause birgt viele neue Möglichkeiten, neben einem kontinuierlichen Programm im ständigen Dialog sind wir auch in der Lage, eine breitere Gruppe von Menschen zu erreichen. Wir setzen uns mit jungen und älteren Menschen, Passanten und neugierigen Schulklassen auseinander und stehen nun in Kontakt mit einem viel breiteren Publikum. Es ermöglicht einen Diskurs auf Augenhöhe, der Experten und Laien gleichermaßen einbezieht.
Es gibt für alle Seiten, die Forscher*innen, die Künstler*innen und das Kuratorenteam so viel zu lernen. Es ist ein fruchtbarer Nährboden für die Wissenschaftskommunikation im Allgemeinen, Kunst ist ein fantastisches dialogisches Werkzeug. Ich glaube, dass Künstler und Forscher eine enorme Macht und Verantwortung haben. Wir sind jetzt hier, um den Diskurs drum herum mitzugestalten.

Einen Diskurs über Nachhaltigkeit und neue Technologien anstoßen möchte auch die Künstlerin Fara Peluso, welche die neue Ausstellung Living Canvas konzipiert hat. Hierfür hat sie ein Kunstwerk aus einem lebendigen, luftreinigenden Bioalgenfilm geschaffen, das sich im Laufe der Ausstellung immer weiter entwickelt.
 

Brain City Berlin: Was war Ihre Motivation und Idee hinter "Living Canvas?

Fara Peluso: Living Canvas konzentriert sich auf die Bedeutung von Mikroorganismen und deren Beziehung zum Menschen. Es ist ein Tribut an die Mikroalgen als einer der wichtigsten Lebensgeneratoren, noch bevor wir auf der Erde erschienen sind. Living Canvas vermittelt ein wissenschaftliches Wissen über die Eigenschaften der Algen und trägt andererseits dazu bei, über anthropozäne Veränderungen nachzudenken: Wie hat der Mensch die Welt beeinflusst und drastische Veränderungen hervorgebracht? Wir sprechen darüber, welche Beziehungen wir heute mit unserer natürlichen Umwelt haben und was die möglichen Zukunftsperspektiven sind.

 

Brain City Berlin: Welche Auswirkung wird die neue Technologie der lebenden, luftreinigenden Oberflächen auf die Welt und ihre wachsenden Städte haben?

Fara Peluso: Der Einsatz von lebenden Maschinen wird selbstverständlich dazu beitragen, unsere Ballungszentren und Landschaften nicht nur architektonisch zu verändern, sondern auch in Bezug auf die Beziehungen, die unsere Städte zur Umwelt haben werden. Ich bin optimistisch, dass unsere Städte zu aktiveren Einheiten werden, zu Nuklei, die analog zur natürlichen Welt vollständig mit einem ganzen biologischen Kreislauf verbunden sind, und damit nicht mehr nur Verbraucher von Ressourcen. Richard Buckminster Füller prägte in den 1960er Jahren die Theorie des "Comprehensive Man" und des "Comprehensive Thinking": Er definierte einen "Umfassenden Menschen" als eine perfekte Synthese aus einem Künstler, Erfinder, Ökonom, aber auch einer Person, die über die Biologie Bescheid wissen muss und sie nutzen kann. Er sah in der immer stärker werdenden Diversifikation und Isolation der Professionen und Spezialisierungen eine Entwicklung in die falsche Richtung. Der historische Moment, in dem wir jetzt mit den neuen Möglichkeiten des Informationsaustauschs und der Kooperationen leben, gibt uns die Möglichkeit, seinen Traum zu erfüllen. 

 

Brain City Berlin: Welche Chancen und Möglichkeiten sehen Sie in der Verschmelzung von Kunst und Wissenschaft?

Fara Peluso: Ich habe Künstler und Designer immer als Generatoren kritischer Fragen betrachtet, welche dazu beitragen, die Art und Weise zu verändern, wie man die Welt sieht. Ich denke, dass die Verschmelzung von Kunst und Wissenschaft zunächst helfen wird, zu verstehen, was wir bis heute entworfen haben und wer wir geworden sind, welche Instrumente wir für die Zukunft entwickeln sollten und wie wir mit der Umwelt umgehen wollen. Die Zukunft wird geprägt sein durch das Interesse an der Biologie, nicht nur von Wissenschaftlern, sondern auch von Designern, Künstlern und Ingenieuren, zusammen mit einer gemeinsamen Idee, die Welt nicht nur aktiv zu verändern, sondern auch die Art und Weise zu ändern, wie wir sie sehen. Diese Zusammenarbeit wird dazu beitragen, ein Gleichgewicht zwischen den menschlichen Bedürfnissen und dem Wunsch zu finden, das Problem des Konsums der begrenzten Ressourcen zu lösen. Es wird uns hoffentlich die Möglichkeit geben, zu realisieren, dass unsere Maschinen anfangen sollten, Leben zu schaffen.

 

Brain City Berlin: Wie wird sich das Leben in den Großstädten Ihrer Meinung nach entwickeln und verändern? Wo sehen Sie Probleme, wo Chancen?

Fara Peluso:  Ich wünsche mir, dass die Städte immer mehr zu Förderern von Verbindungen zwischen Menschen und ihren Ideen werden und nicht zu Befürwortern von Isolationen und Ausgrenzungen. Heute sehe ich Probleme, die in unseren Einstellungen und Entscheidungen als Mensch potenziell lösbar sind, als direkte Verantwortliche für unseren heutigen Zustand. Ich habe mich entschieden, einen spekulativen Ansatz zu verfolgen, weil ich diese Methode für ein großartiges Lern- und Erkundungswerkzeug halte: sie hilft uns dabei, unsere heutige Gesellschaft zu verstehen, kritische Denker hervorzubringen und offen für neue Lösungen zu werden. 

 

Brain City Berlin: Welche Rolle wird Berlin bei all dem spielen, in welche Richtung gehen wir hier in dieser Stadt?

Fara Peluso: Berlin ist eine Stadt, die mich seit jeher durch ihre Fähigkeit beeindruckt, sich neu zu erfinden, aufmerksam zu sein und mit einer kritischen Haltung zu verstehen, wohin sich die Gesellschaft bewegt. Ich sehe in Berlin absolut viel Potenzial, auch weil die Menschen hier wirklich daran interessiert sind, teilzunehmen und mehr zu entdecken. Dies ist auch für andere Städte eine gute Botschaft: Die Präsenz einer starken Verbindung zur Natur in der Kultur kann dazu beitragen, die Gesellschaft positiv zu verändern.

Die Ausstellung ist in Zusammenarbeit mit Solaga als technologischem Partner und mit Förderung der Innogy Stiftung realisiert worden.