• Prof. Dr. Ulrich Panne, Thomas Prinzler, Prof. Dr. Jürgen Schulz (v.li.n.re.)

    LNDW-Podcast, Folge 12: „Wissenschaft als Antwort auf Fake News“ (6. Mai 2021)

Würmer in Masken, giftige Schnelltest-Wattestäbchen, Genveränderungen durch die neuen mRNA-Impfstoffe. In der Krise haben Fake News Konjunktur. Die 12. Ausgabe des Podcasts der Langen Nacht der Wissenschaften greift das Thema auf. Zu Gast in der Sendung: Prof. Dr. Ulrich Panne, Präsident der Bundesanstalt für Materialprüfung und -forschung (BAM) und Vorsitzender des Vereins der Langen Nacht der Wissenschaften sowie Dr. Jürgen Schulz, Professor für strategische Kommunikationsplanung an der Universität der Künste (UdK) Berlin.

Auszug aus dem LNDW-Podcast, Folge 12: 

Herr Prof. Schulz: Im Wissenschaftsbarometer 2020 der Initiative Wissenschaft im Dialog sagen zwei Drittel der Befragten, sie hätten großes Vertrauen in Wissenschaft und Forschung. Etwa so viele hielten auch laut ARD Deutschlandtrend im April 2021 die Corona-Maßnahmen für angemessen. In beiden Umfragen ist die Tendenz allerdings fallend. Demgegenüber steht das Ergebnis einer Allensbach-Umfrage der zufolge rund vierzig Prozent der Bevölkerung Fakten als Ansichtssache sehen. Woher kommt diese Diskrepanz?

Prof. Schulz: Der Wissenschaftler beginnt ja mit dem Zweifel. Das hat auch schon Descartes mit seinem Ausspruch „dubito, ergo cogito“ („ich zweifle, also denke ich“) zum Ausdruck gebracht. Daher würde ich mit Blick auf die von Ihnen zitierten Umfragen zweifelnd nachfragen, was mit dem Begriff des Vertrauens gemeint ist. Ich glaube, dass man Befragte manchmal auch mit dem überfordert, was mit Vertrauen gemeint ist. Meines Erachtens haben solche Fragestellungen oft mit einem trivialen Verständnis von Wissenschaft zu tun. Wissenschaft wird häufig reduziert auf die Aussagen einzelner Wissenschaften, die dann als Experten gehört werden. Getreu dem Motto eines Humoristen: „Von weit her kommt er angereist, Professor Dreist“. Als Experte gibt er Auskunft über das „Richtige“ und legt den Schalter um. Als wäre es so einfach, zwischen Wahrheit und Unwahrheit eine einfache Unterscheidung zu treffen. Das ist in den Wissenschaften, in den Geistes- wie den Naturwissenschaften, aber nicht so. 

Haben sich Wissenschaftler*innen von den Menschen entfremdet?

Prof. Schulz: Wer da sich von wem entfremdet hat, lasse ich mal dahingestellt. Ich komme beispielsweise aus einfachen Verhältnissen. Meine Schwester war die erste in der Familie, die Abitur gemacht hat. Mein Vater sagte damals, „jetzt bist du eine Intellektüelle“. Was ich damit sagen will: Es liegt an auch in der Verantwortung jedes Menschen, sich mit Wissen zu beschäftigen. Das Motiv des Menschen ist es, zu verstehen und verstanden zu werden – und da sind wir mittendrin in der Wissenschaft. 

Sie unterrichten strategische Kommunikation und spielen dabei unter anderem Rollenspiele mit den Studierenden. Was wollen Sie mit den Spielen vermitteln?

Prof. Schulz: Wir spielen so etwas wie Stuttgart 21 nach, Projekte bei denen unterschiedliche Interessensgruppen aufeinandertreffen. Es ist interessant, dass die Studierendem dabei von sich aus auf den Gedanken kommen, Fake News zu verbreiten. Sie nutzen diese für ihre Strategien, um ihre Position in der Öffentlichkeit – wir vergeben verschiedene Rollen wie Politiker, Bürgerbewegung und eben auch Medien – nach vorn zu bringen. Die triviale Vorstellung von Strategie besagt: Das ist nichts anderes als ein Plan. Im Spielerischen, beim Schach, bei Go, aber auch in anderen Kulturen gibt es einen andere Begriff von Strategie. Das Verfremden von Informationen, das Simulieren von Informationen spielen dabei eine große Rolle. In China gibt es beispielsweise ein Arsenal von Kniffen und Kunstgriffen, die 36 Strategeme. Wenn man dort unterwegs sein will, muss diese kennen. Um das auf Fake News zu beziehen: Es gibt die berühmte Gerasimov-Doktrin, benannt nach einem russischen Militär, der formulierte, dass bei der Kriegsführung mittlerweile auch Kommunikation eine Waffe sei, Stichwort: Cyber-Attacken. Meine Aufgabe als Wissenschaftler sehe ich darin, gewappnet zu sein und auch andere zu wappnen. 

Fakten und Wissenschaften scheinen zwar bedroht, sie waren aber auch niemals wichtiger als in diesem Moment.
(Prof. Dr. Ulrich Panne, Präsident der Bundesanstalt für Materialprüfung und -forschung (BAM), Vorsitzender des Vereins der Langen Nacht der Wissenschaften)

Herr Prof. Panne, Sie sind auch Präsident der Bundesanstalt für Materialprüfung und -forschung (BAM) und damit beauftragt, die Sicherheit in Technik und Chemie zu überprüfen, zu erforschen und Politik und Wirtschaft entsprechend zu beraten. Gibt es Fake News bzw. Gerüchte, die Sie und Ihre Mitarbeitenden beschäftigen? Gegen die Sie angehen müssen?

Prof. Panne: Das hat sich deutlich verändert. Die BAM ist dieses Jahr 150 Jahre alt geworden. Das Verständnis von Wissenschaft und Technik war damals sicher ein ganz anderes als heutzutage. Damals war Technik ein Fortschrittsmotor. Etwas, das mit Wohlstand verknüpft wurde. Technische Risiken wurden viel eher akzeptiert. Der Begriff Sicherheit hat heute eine ganz andere Bedeutung bekommen. Wir kümmern uns beispielsweise derzeit sehr intensiv in unserem Kompetenzzentrum Wasserstofftechnologie um Vertrauen in diese neue Technologie. Warum? Heutzutage können wir es uns nicht mehr erlauben, dass bei einem Technologiehochlauf etwas passiert. Wir müssen daher frühzeitig darüber nachdenken, wie wir mit Unfällen umgehen. Denn es können immer welche passieren. Wir leben in keiner risikofreien Gesellschaft. Wie schaffen wir es, dass diese Technologie trotzdem für uns erhalten bleibt? Das ist die Schnittstelle, an der wir arbeiten und bei der es auch um Kommunikation geht. Etwa bei der Frage, wie wir auch nicht-evidenzbasierten Argumentationen entgegentreten.

Als Chemiker kennen Sie sicher die Vorurteile, besser gesagt, die Voreingenommenheit von Menschen gegenüber der Chemie. Obwohl unsere moderne Welt und unser Wohlstand ohne Chemie nicht denkbar sind, wird „Chemisches“ abgelehnt und das Natürliche, die Natur, romantisiert. Wie gehen Sie und ihre Mitarbeit damit um? 

Prof. Panne: Sicherlich gibt es ein wachsendes Misstrauen gegenüber manchen Disziplinen. Die Chemie gehört dazu. Auf der anderen Seite sind die Chemie und Materialwissenschaften die wichtigsten transformativen Naturwissenschaften, denen wir heute gegenüberstehen. Denn unserer Zukunft ist „dinglich“. Die vermutlich wichtigste Herausforderung ist heute die Lösung der Energiefrage. Diese wird am Ende durch Dinglichkeit, durch „Sachen“, geregelt. Es geht also um Materialien, um Chemie, – damit wir diesen Technologiewandel und eine gute Zukunft für uns alle erzielen. Insoweit müssen wir erreichen, dass auch der Wert gesehen wird und nicht immer nur Gefahren, die mit einer Disziplin und ihren Fortschritten verbunden sind. 

Experten wie der Virologe Christian Drosten, der Präsident des Roland-Koch-Instituts (RKI), Roland Wieler, oder die Modelliererin Viola Priesemann sind als Expert*innen medial und in der Politikberatung präsent. Nun wird kritisiert, man höre viel zu viel und geradezu sklavisch auf die Wissenschaftler*innen – oder sogar auf die falschen. Können Sie diese Kritik nachvollziehen?

Prof. Schulz: Die Kritik ist dann berechtigt, wenn andere wissenschaftliche Disziplinen nicht ebenso befragt werden. Man kann die Maßnahmen beispielsweise aus einer sozialwissenschaftlichen Perspektive heraus betrachten. Also etwa, welche Folgen haben die Maßnahmen für Kinder, für bestimmte soziale Schichten. Gesellschaftlich habe ich den Eindruck, es gibt eine Verlockung der Eindeutigkeit. Als wenn alles nur mit einer Antwort beantwortet werden kann. Mitnichten! Auch in den Naturwissenschaften gibt es Widersprüche. Was mir fehlt, ist das Generieren von Alternativen. Das ist strategisch, das weiß jeder Schach-, jeder Gospieler: Wenn ich keine Alternativen mehr habe, ist das Spiel vorbei. Dann bin ich schachmatt bzw. habe keine Freiheiten, wie es im Go heißt. Ich muss also Alternativen generieren und dafür sind Wissenschaften unterschiedlicher Disziplinen wichtig. 

Das Motiv des Menschen ist es, zu verstehen und verstanden zu werden – und da sind wir mittendrin in der Wissenschaft.

(Dr. Jürgen Schulz, Professor für strategische Kommunikationsplanung an der UdK Berlin)

Ihr Kollege vom RKI, Prof. Dr. Lothar Wieler, steht in der Pandemie im Licht der Öffentlichkeit und wird mitunter massiv, auch persönlich, angegriffen. Sind Sie manchmal froh, dass sie als BAM-Präsident nicht so in der öffentlichen Aufmerksamkeit stehen? 

Prof. Panne: Die Ressortforschungseinrichtungen haben guten Kontakt zueinander. Ich habe immer wieder gegenüber den Kollegen Lothar Wieler und Klaus Cichutek (Präsident des Paul-Ehrlich-Instituts, Bundesinstitut für Impfstoffe und biomedizinische Arzneimittel, Anm. d. Red.), die im grellen Licht der Öffentlichkeit stehen, meine Solidarität und auch meinen Respekt ausgedrückt. Ich finde, sie machen einen hervorragenden Job. Die Frage der Experten ist eine schwierige. Aus wissenschaftlicher Sicht lässt sich ja keine Aussage treffen, wie wir in Zukunft leben möchten. Man findet sich immer in einem Spannungsfeld aus Mehrheit und Wahrheit. Empirische Wissenschaften können auf letzte Sinn- und Wertfragen keine Antwort geben. Auf der anderen Seite – und darüber freue ich mich sehr – ist eine lebhafte Diskussion darüber entbrannt, wie soll ich heute als Wissenschaftler*in agieren? Der klassische Satz in der Wissenschaft lautet: „Good fences make good neighbours“. Man hält sich also vom Politischen und Gesellschaftlichen fern. Ich glaube nicht, dass das in der Zukunft haltbar sein wird. Wir werden sicher darüber streiten müssen, was das richtige Maß der Zuwendung von Wissenschaft zur Welt ist. In der für uns entscheidenden nächsten Dekade wird sich die Wissenschaft nicht hinter einem Zaun vor der Politik verstecken dürfen. Wissenschaft muss zurück in die Gesellschaft. Wir müssen zeigen, dass die großen Lösungen nicht eindimensional sind. Wir werden beispielsweise das Thema Energie – ketzerisch formuliert – nicht mit ein wenig Wasserstoff lösen können. Heutzutage brauchen wir nicht nur inter-, sondern transdisziplinäre Lösungen. Der Klimawandel kann nicht mit drei Technologien gelöst werden. 

Prof. Schulz: Diese Anfeindungen gegenüber Wissenschaftler*innen machen auch mir Sorge. In der Demokratie geht es um den Austausch von Argumenten. Die Trennung von Argument und Person ist ein wichtiger Bestandteil unserer demokratischen Vorstellung. Aristoteles äußert in seiner „Poetika“, dass das glaubwürdig Unmögliche höher wiege als das unglaubwürdig Mögliche. Das ist ein sehr denkwürdiger Satz. Warum? Weil damit die Argumente in eine moralische Kategorie verschoben werden. Und wir es dann sehr schnell und leicht mit solchen Anfeindungen zu tun haben. 

Sehr oft wird dabei die Meinungsfreiheit bei Fake News bemüht, nach dem Motto: „Das wird man doch noch sagen dürfen …“ 

Prof. Panne: Wir müssen uns aktiv um Vertrauen bemühen. Demokratie und Wissenschaft werden erst durch Anfeindungen gestärkt. Das sind wir in den Wissenschaften vielleicht nicht mehr gewöhnt, es gehört aber dazu. Fakten und Wissenschaften scheinen zwar bedroht, sie waren aber niemals wichtiger als in diesem Moment. Das ist die zentrale Botschaft. 

Die einzelnen Folgen des LNDW-Podcasts – am 6. jedes Monats online