• Brain City Berlin, LNDW-Podcast 4, Gäste

    Folge 4: „Gründergeist – vom Studium zum Start-up“ (6. September 2020)

Rund 500 Start-ups werden jährlich in der Brain City Berlin ins Leben gerufen. Viele Gründer*innen starten ihr Unternehmen aus der Hochschule heraus – als Studierende, Doktorand*innen oder wissenschaftliche Mitarbeiter*innen. Wie aber gelingt der Wissenstransfer aus der Wissenschaft in die Wirtschaft? Und welche Förderungsmöglichkeiten gibt es für Akademiker*innen, den Sprung in die Selbstständigkeit wagen? Fragen wie diese diskutieren beim 4. LNDW-Podcast: Dr. Henning Breuer, Professor für  Wirtschafts- und Medienpsychologie an der HMKW Hochschule für Medien, Kommunikation und Wirtschaft, Dr. Rafaela Kunz, Professorin für International Technology Transfer Management an der bbw Hochschule, Berlin und Jonas Liepmann, Gründer der Lernplattform „iversity“. 2016 ging er mit seinem Start-up in die Insolvenz, ist aber heute weiterhin unternehmerisch aktiv. Im Brain City-Interview berichtet der studierte Kultur- und Theaterwissenschaftler von seinen Erfahrungen und erzählt, was er auf seinem bisherigen Weg gelernt hat.

Herr Liepmann, Sie sind einer der wenigen Geisteswissenschaftler*innen, die eine Gründung gewagt haben. Warum tun sich Geisteswissenschaftler*innen damit so schwer?

Geisteswissenschaftler*innen haben das Gründen einfach weniger auf dem Schirm. Sie beschäftigen sich häufig auch nicht mit dem Thema Geldverdienen. Dabei sind Geisteswissenschaftler*innen gut gerüstet für die Gründung eines Unternehmens: Sie lernen, rasch verschiedene Themen miteinander zu verbinden und entwickeln so interdisziplinäres Denken. Außerdem muss man auch bei Unternehmensgründungen viel mit Worten arbeiten, andere überzeugen und kreativ denken

Wie war das bei Ihnen? 

Ich habe mich als Geisteswissenschaftler gar nicht so schlecht vorbereitet gefühlt auf die Gründung eines Unternehmens. Neben Theaterwissenschaften habe ich auch Kulturwissenschaften und Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaften studiert. Das sind alles Fächer, wo man ein ziemlich breites Themenspektrum hat und sich ziemlich schnell in unterschiedliche Sachen reindenkt. Insofern ist es mir auch nicht schwer gefallen, mich in verschiedene Wirtschaftsthemen reinzuarbeiten. Das ist ja keine höhere Mathematik. Da reicht, grob betrachtet, Plus, Minus und Prozentrechnung.

2008 gründeten Sie „iversity“. Wie entstand die Idee? 

Zum Ende meines Studiums an der Freien Universität Berlin fragte ich mich, was ich tun sollte. Ursprünglich wollte ich ans Theater, aber dann fiel mir ein Artikel über die Gründer von StudiVZ in die Hände und ich dachte: „Das kann ich auch. Gründen ist nicht nur etwas für BWLer.“ Also fing ich an, Ideen zu sammeln –  gemeinsam mit Till Behnke, der dann BetterPlace gründete. Ich kam schnell zu dem Schluss: „Womit ich mich gut auskenne, ist das Thema Uni und Lehre.“ Das brachte mich auf das Thema E-Learning. Ich wollte ein vernetztes und öffentliches Lernen zwischen Studierenden und Lehrenden schaffen. Die ursprüngliche Idee von iversity war es, Professor*innen anzubieten, ihre Vorlesungen und Seminare öffentlich oder geschlossen einzustellen. Geld wollte ich mit Büchern verdienen, die über die Plattform bestellt werden konnten.

Wie ging es dann weiter?

Ich ging mit der Idee zu Profund Innovation, der Gründungsberatung der FU Berlin und erfuhr dort vom EXIST-Programm. Ich bewarb mich um das EXIST-Stipendium und suchte mir einen Wirtschaftswissenschaftler und einen Programmierer als Mitstreiter. Nach einem Jahr war das Stipendium abgelaufen und ich konnte meine Mitarbeiter nicht ohne Finanzierung halten. Immerhin stand inzwischen ein Prototyp und es gab auch schon erste Nutzer*innen. 

Und wie kamen Sie an weitere Gelder?

Nach EXIST war das schwierig. Ich fand zunächst keinen Investor. Diesen hätte ich zum Beispiel gebraucht, um von der Investitionsbank Berlin eine Finanzierung zu erhalten. Dann wurde ich zu einem „Banken-Casting“ eingeladen. Zum ersten Mal musste ich richtig pitchen. Irgendwie erinnerte mich das an meine Schauspielzeit – dafür einen Anzug zu tragen fühlte sich fast an wie ein Kostüm. Der Pitch lief super. Man wollte mir einen Kredit über 100.000 Euro geben. Mein Umfeld riet mir damals davon ab. Ich begriff das Unternehmen jetzt allerdings als Abenteuer und ließ mich darauf ein. Wenn ich Pleite gehen würde, so dachte ich mir, würde ich halt danach einige Zeit nur für die Bank arbeiten.

 

Jonas Liepmann, Foto: Haiqing Wang

Was haben Sie mit dem Kredit gemacht?

Das Geld reichte für ungefähr 1,5 Jahre. Ich mietete mich ins Beta-Haus am Moritzplatz ein und baute ein Team mit Programmierern und Designern auf. iversity hatte damals ungefähr 10.000 Nutzer*innen. Die Umsätze reichten jedoch nicht aus, um das Unternehmen zu tragen. Daher übernahmen wir auch andere Aufträge, zum Beispiel für Unis. iversity wurde so eher zu einer Agentur. Dann lernte ich Hannes Klöpper kennen, der zum zweiten Geschäftsführer wurde. Gemeinsam gingen wir auf die Suche nach Venture Capital. Schließlich stieg ein Investor mit einer Millionen Euro in das Unternehmen ein und wir konnten den Prototypen weiterentwickeln.

Trotzdem stießen Sie auf weitere Schwierigkeiten, warum?

Unser Geschäftsmodell funktionierte nicht, da alle über die Plattform nur geschlossene Vorlesungen anbieten wollten. Über die Bestellung von Büchern und Vorlesungsmaterialen kam daher nicht genug Geld rein. Der Investor wurde nervös und zwang uns, Leute zu entlassen. Wir hatten keine Zeit mehr, das Geschäftsmodell zu justieren. Gute Leute wurden unsicher und gingen. Allerdings half uns dann eine Marktentwicklung: In den USA wurden MOOCs, „Massiv Online Open Courses“ populär. Das machte es auch hierzulande leichter, Menschen vom iversity-Modell zu überzeugen. Der Investor drehte uns daraufhin nicht den gleich den Geldhahn zu. 

2013 holten sich dann einen dritten Geschäftspartner ins Boot, richtig? 

Ja, wir wollten frischen Wind im Unternehmen haben. Er hatte bereits Erfahrung und war etwas älter als wir. Nach zwei Monaten implodierte diese Konstruktion jedoch. Es kam ständig zu Streit, der sogar bis zu den Investoren getragen wurde. Das war für mich der Moment, wo ich mir überlegte, in die zweite Reihe zu treten. Ich verkaufte etwa ein Drittel meiner Anteile, stellte aber fest, dass es die Unruhe im Unternehmen auch oder gerade nach meinem Weggang nicht nachließ. Ein Jahr später verließ unser dritter Mann das Unternehmen und an seine Stelle trat abermals ein neuer Geschäftsführer. iversity wurde zwar immer bekannter, lief aber immer noch in den roten Zahlen. Damals hatten wir dann die Idee, auch Onlinekurse für Unternehmen anzubieten. Aber es war bereits zu spät. 

2016 ging iversity in die Insovenz. Heute wird es von Springer Nature weitergeführt. Tut das weh?

Nein, der Verlag ist sehr renommiert und sitzt außerdem in meiner Heimatstadt Heidelberg. Die Insolvenz hätte vielleicht auch mit weiteren Finanzierungen nur verzögert werden können. Profitiert hätte ich zu Beginn sicherlich von Schulungen zum Umgang mit Investoren. Für mich war alles Learning bei Doing – das entspricht mir aber eigentlich auch. Es ist immer ein Glückspiel, nicht mal eine 50:50-Chance, ob eine Geschäftsidee funktioniert. Ich hatte aber Glück im Unglück und ging letztendlich als Geisteswissenschaftler als Einziger mit etwas Geld aus der Insolvenz heraus. Besonders freut mich, dass iversity auch nach zwölf Jahren noch existiert – so ganz verkehrt war die Idee also nicht.

Was haben Sie aus der Gründung gelernt?

Dass es mir großen Spaß macht, Ideen zu entwickeln, Leute zusammenzubringen und sie für diese Ideen zu begeistern. Auch viele berufspraktische Dinge: Zum Beispiel Präsentationen auf den Punkt zu bringen oder einen Vertrag richtig zu lesen. Vor allem aber ist mir die Bedeutung eines guten Teams und eines produktiven Verhältnissen zu Gesellschaftern bewusst geworden. Die internen Spannungen war vermutlich einer der Hauptgründe für unsere spätere Insolvenz. 

Was machen Sie heute? Sind Sie wieder als Unternehmer unterwegs?

Nach der Insolvenz habe ich das Beuster, ein Restaurant in Neukölln, mit aufgemacht. Mehr zum Spaß und um mal wieder etwas ganz sinnlich und offline zu machen. Parallel dazu beriet ich Start-ups und unterstützte Firmen bei der Produktion von E-Learning-Videos. Aktuell geht es wieder zurück in Richtung Kultur. Ich hoffe, Genaueres kann ich spätestens Ende des Jahres verraten.  

Ihr Tipp für Gründer*innen?

Eine Mischung aus gesundem Selbstvertrauen und Hartnäckigkeit ist sicher hilfreich für den Erfolg. Andererseits ist auch Selbstkritik wichtig, damit man sich nicht in etwas verrennt. Vor allem aber: Verliert nie den Spaß an der Sache – auch und besonders im Team! (LHLK)

Weitere Gäste der Sendung:

Prof. Dr. Rafaela Kunz − Professorin für International Technology Transfer Management an der bbw Hochschule, Berlin. Sie bietet auch Kurse zum Thema Entrepreneurship an. In ihrer Tätigkeit sieht sie auch als Bindeglied zwischen Hochschule und Unternehmen.

Prof. Dr. Henning Breuer – Professor für Wirtschafts- und Medienpsychologie an der HMKW Hochschule für Medien, Kommunikation und Wirtschaft. Er berät mit seiner Firma UXBerlin seit 2001 Unternehmen zum Thema Innovation und wirtschaftspsychologischen Fragestellungen.

 

Die einzelnen Folgen des Podcasts – am 6. jedes Monats online

LNDW-Podcast in der ARD-Audiothek

LNDW-Podcast beim rbb Inforadio 

Weiterführende Links

BE! GRÜNDET – Das Gründungsnetzwerk der Berliner Hochschulen

EXIST-Gründerstipendium des Bundesministerium für Wirtschaft und Energie 

Berliner Startup Stipendium