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©rbb/Gundula Krause
14.07.2020Folge 3: „Der schöpferische Mensch – was die Wissenschaft von der Natur lernen kann“ (6. August 2020)
Bereits heute essen wir Joghurts mit Aromen, die mithilfe von Bakterien gewonnen werden und waschen mit Waschmitteln, deren Reinigungskraft auf industriell hergestellten Enzymen beruht. Die 3. Folge des LNDW-Podcasts beschäftigt sich damit, wie die Wissenschaft von der Natur lernen kann. Im Berliner STATE Studio zu Gast sind Sebastiaan Meijsing von der Max-Planck-Forschungsstelle für die Wissenschaft der Pathogene und der Designer Jannis Hülsen, der die Ausstellung „MACHT NATUR im Rahmen eines Projekts an Universität der Künste (UdK) geplant und umgesetzt hat. Mit dabei ist auch Brain City Botschafter Prof. Dr. Tim Landgraf vom Dahlem Center for Machine Learning and Robotics (DCMLR) der Freien Universität Berlin.
„Die Natur ist eine höchst entwickelte Technologie. Herauszufinden, wie sie funktioniert, ist ausgesprochen spannend. Wir betrachten in unserer Forschungsgruppe kollektive Informationsverarbeitungsprozesse. Das heißt, wir untersuchen, wie Gruppen-Entscheidungen durch soziale Interaktionen generiert werden“, erläutert Dr. Tim Landgraf. Der Brain City-Botschafter ist Professor am Biorobtics Lab des Dahlem Center for Machine Learning and Robotics (DCMLR) der Freien Universität Berlin (FU Berlin). Sein Forschungsschwerpunkt ist die kollektive Intelligenz. Dabei arbeiten Landgraf und sein Team vor allem mit zwei recht munteren Versuchstier-Gruppen zusammen: Bienen und Guppies.
„Wir schauen uns an, wie komplexe Systeme funktionieren“, so Landgraf. „Wenn ein Guppy-Schwarm plötzlich seitlich zu einer Futterquelle abdreht, kann das eigentlich nicht zentral durch einen ‚Anführer-Fisch’, sondern eher durch lokale Interaktion entschieden worden sein. Wie genau das passiert und welche Regeln da gelten, das wissen wir bisher nicht.“ Um diese Regeln zu interpretieren und somit von der Schwarmintelligenz der Guppies zu lernen, schleusen die Dahlemer Forscher*innen winzige Roboter in die Guppy-Schwärme ein. Diese ähneln den echten Guppies in Aussehen und Größe. „RoboFish“ nennt Landgraf die 3-D-gedruckten und naturgetreu bemalten Guppy-Replikanten. Sie „schwimmen“ auf feinen, durchsichtigen Stützen, die auf Magnetplatten montiert sind, durch ein viereckiges, flaches Testbecken. Gesteuert werden sie dabei von einem Roboter, der unterhalb der Bodenplatte per Software gelenkt seine Bahnen zieht. Mal bewegt sich der RoboFish so auf eine kleine Gruppe echter Guppys im Becken zu, mal folgen ihm diese nach. Zwei Kameras verfolgen das Geschehen und zeichnen sämtliche Bewegungen auf.
Jeder Fisch reagiert anders
Die Arbeitsgruppe um Tim Landgraf testet mit den Robo-Fischen ihre Hypothesen. „Die Guppies sind kleine Individuen. Es gibt mutige, schüchterne, neugierige, soziale oder weniger soziale Exemplare – die hungrig sein können oder vielleicht auch mal krank. Jeder Fisch im Schwarm reagiert daher anders. Unsere Forschungsfrage lautet: Welchen Einfluss haben diese individuellen Eigenheiten auf die Regeln, die auch zwischen uns Menschen gelten?“ Eine Antwort konnten die Forscher*innen bereits KI-generiert herausfiltern: Sozial kompetenten Robo-Fischen folgen die Guppies bereitwilliger als ignoranten Drauflos-Schwimmern. Landgraf: „Wenn der RoboFish Angstreaktionen beim Gegenüber registriert und weniger schnell und direkt schwimmt, ist das Folgeverhalten des Fisches wesentlich besser.“ Bei Guppies wie bei Menschen zählt also offenbar Einfühlungsvermögen als eine Führungsqualität.
Aktuell dreht Tim Landgraf mit seinem Team diesen Forschungsansatz noch weiter. Sie versuchen, lernende Roboter zu bauen, die sich in ihrem Verhalten nicht nur einzelnen Guppies anpassen können, sondern vielen. „Es geht uns darum, herauszufinden, welche Verhaltensweisen für sämtliche Individuen optimal sind“, erläutert Landgraf. „Die Roboter muss dafür die Verhaltensmerkmale vieler Guppies extrahieren und lernen, die relevanten zu erkennen. Das hat in der Forschung bisher noch niemand gemacht. Die Analyse unserer Daten ist allerdings noch nicht abgeschlossen.“
Kommunikation über elektrische Signale
Ein weiteres Projekt der Arbeitsgruppe ist noch in Vorbereitung. Auch hier arbeiten die Forscher*innen mit Fischen, aber mit einer anderen Spezies: Elefantenrüsselfischen. „Diese sind sehr schlau. Sie haben in der Schwanzmuskulatur Zellen, mit denen sie elektrische Felder produzieren, die sie selbst auf der Haut messen können“, so Landgraf. Schwimmt ein „Elefantenrüssel“ etwa an einem Stein oder Artgenossen vorbei, beeinflusst das die Stärke und Form des elektrischen Feldes. Ist das Gegenüber ebenfalls ein Elefantenrüsselfisch, kann dieser die abgegebenen elektrischen Impulse auch wahrnehmen. So kommunizieren die beiden miteinander. „Was das genau bedeutet – und in welchem Kontext die Signale verstanden werden – das wollen wir mit Fisch-Robotern herausfinden, die ebenfalls elektrische Signale senden können“, ergänzt Landgraf. „Interessant sind diese Fragestellungen nicht nur für die Biologie: die Variabilität von lebenden Systemen ist eine interessante Herausforderung für Methoden des maschinellen Lernens. Es gibt noch viel Forschungsbedarf auf Seiten der Informatik.“
Bei dem Elefantenrüssel-Projekt arbeiten Tim Landgraf und sein Team übrigens mit Bonner Forscher*innen zusammen. Das RoboFish-Projekt entwickelte er zusammen mit dem bekannten Verhaltensbiologen und Schwarmintelligenz-Experten Prof. Dr. Jens Krause vom Leibniz Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) am Müggelsee.
Berlin – schon immer interessant, vibrierend, faszinierend
„Das Konglomerat an verschiedenen wissenschaftlichen Expertisen, die in Berlin zusammenkommen, um die Natur zu verstehen, ist eine powervolle Mischung“, so Tim Landgraf. Auch sonst zeigt sich der Brain City-Botschafter von der Hauptstadt ebenso wie von den hiesigen Forschungsbedingungen begeistert. „Deutschland ist von seiner Förderinfrastruktur her fantastisch. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft, das Bundesministerium für Bildung und Forschung und andere Förderinstitutionen leisten weltweit einzigartige Arbeit.“ Speziell Berlin punkte aber durch weitere Faktoren: „Wir haben hier drei große Volluniversitäten mit exzellenten Wissenschaftler*innen. Und auch die Studierenden, die von der Stadt angezogen werden, sind Oberklasse. Netzwerke wie das Exzellenzcluster Science of Intelligence oder das Berlin Institute for the Foundations of Learning and Data (BIFOLD) verknüpfen verschiedene Fachgebiete, um mehr über Intelligenz, aber auch über die Intelligenz ‚künstlicher Lebewesen’ herauszufinden. Berlin war schon immer interessant, vibrierend, neu und faszinierend – und wird es auch noch lange bleiben“ (vdo)
Das vollständige Gespräch mit Prof Dr. Tim Landgraf können Sie im 3. LNDW-Podcast hören.
Weitere Gäste der Sendung:
Dr. Sebastiaan Meijsing von der Max-Planck-Forschungsstelle für die Wissenschaft der Pathogene. Er gehört zum Team von Prof. Dr. Emmanuelle Charpentier, die gemeinsam mit Prof. Dr. Jennifer Doudna die sogenannten Genschere CRISPR / Cas9 endeckte und dadurch weltweit Berühmtheit erlangte. Sebastiaan Meijsing selbst forscht vor allem an Anwendungen der CRISPR / Cas9-Methode im medizinischen Bereich.
Designer Jannis Hülsen konzipierte und realisierte zusammen mit seinem Partner Stefan Schwabe die Ausstellung „MACHT NATUR“ im Berliner STATE Studio als Teil eines Forschungsprojekts an Universität der Künste (UdK).