• Brain City Berlin, LNDW-Podcast

    Folge 10: „Ein Jahr Corona – wie Pathogene und Menschen sich gegenseitig beeinflussen“ (6. März 2021)

Welche Auswirkungen haben die Corona-Pandemie und die Maßnahmen zu ihrer Eindämmung auf die psychische Gesundheit? Und wie wirken sich die Maßnahmen umgekehrt auf das Virus aus? Mit diesen Fragen beschäftigt sich die 10. Ausgabe des LNDW-Podcasts. 

Ende Januar 2020 traten in Bayern die ersten Corona-Erkrankungen in Deutschland auf. Obwohl das Virus im Land war, schien die Lage zunächst nicht weiter dramatisch. Man feierte Karneval, genoss den Skiurlaub und ahnte nicht, was sich in Orten wie Ischgl bereits zusammenbraute. Doch die Situation spitzte sich dramatisch zu. Am 9. März wurden in Nordrhein-Westfalen bereits die ersten Todesfälle gemeldet, am 10. März meldeten erstmals alle Bundesländer Infektionen. Die Kreisstadt Heinsberg galt als erster Hotspot in Deutschland. Am 11. März gab die Weltgesundheitsorganisation WHO bekannt, dass sich die neue Krankheit über den gesamten Globus verbreitet hatte. Und am 22. März trat schließlich der erste bundesweite Lockdown inkraft. Inzwischen leben wir in Deutschland bereits seit einem Jahr mit der Corona-Pandemie und den sie begleitenden Schutz-Maßnahmen. Das hat Auswirkungen – nicht nur physischer, sondern auch psychischer Natur. 

In der zehnten Ausgabe des LNDW-Podcasts diskutiert Moderator Thomas Prinzler mit zwei Berliner Wissenschaftler*innen, wie Pathogene und Menschen sich gegenseitig beeinflussen.  Zu Gast in der Sendung: Dr. Eva Asselmann, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Psychologie der Humboldt-Universität zu Berlin und Dr. Felix Michael Key, Leiter des „Key Lab“ am Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie.

Auszug aus dem LNDW-Podcast, Folge 10

Foto: Jens Gyarmat

Viele Menschen sind aktuell stark von Existenzängsten betroffen. Das kann im schlimmsten Fall lange anhalten, sich längerfristig manifestieren und dann auch über die Pandemie hinaus andauern.

Dr. Eva Asselmann  ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Psychologie an der Humboldt-Universität zu Berlin. In der von der Brain City-Botschafterin Prof. Dr. Jule Specht geleiteten „Arbeitsgruppe Persönlichkeitspsychologie“ beschäftigt sie sich unter anderem mit der Frage, welchen Einfluss einschneidende Lebensereignissen auf die Entwicklung der Persönlichkeit haben. 

Frau Dr. Asselmann, Sie befassen sich mit einschneidenden Lebensereignissen. Die Corona-Pandemie und ihre Folgen gehören vermutlich dazu. Was sind das sonst noch für Ereignisse?

Die Corona-Pandemie ist ein kollektives Lebensereignis, dass uns alle mehr oder weniger betrifft. Unter „einschneidenden Lebensereignissen" verstehen wir ansonsten individuelle Ereignisse, die einen erheblichen Umbruch bedeuten. Beispielsweise familiäre und berufliche Ereignisse wie mit einem Partner zusammenzuziehen, zu heiraten, Kinder zu bekommen, ins Berufsleben einzutreten oder in Rente zugehen. All das sind typische Umbruchszeiten, die vom Einzelnen enorme Anpassungsleistungen erfordern – mit der Folge, dass sich dadurch auch die Persönlichkeit verändert. 

Vielen Menschen reagieren inzwischen dünnhäutiger. Sind das mögliche Anzeichen dafür, dass sich unsere Persönlichkeiten durch die Pandemie verändern?

Unter Persönlichkeitsveränderungen verstehen wir längerfristige Änderungen, die über Monate, wenn nicht Jahre hinweg entstehen. Es wäre daher noch verfrüht zu sagen, das wäre der Fall. Aber die Pandemie hat Auswirkungen auf die psychische Gesundheit. Dazu gibt es bereits viele Studien. Auch wir konnten im Rahmen unserer Forschungen zeigen, dass es vermehrt Angststörungen gibt, depressive Symptome, aber auch eine erhöhte Stressbelastung. Inwieweit das auch über die Pandemie hinweg andauern wird, müssen wir dann noch anschauen. 

Sie haben Studien genannt, was sind die konkreten Ergebnisse?

Wir haben uns angesehen, welche Rolle die Persönlichkeit für den Umgang mit der Pandemie spielt. Wir konnten zum Beispiel zeigen, dass von den Lockdown-Maßnahmen vor allem jüngere Personen durch Angststörungen und depressive Symptome betroffen sind. Gerade junge Personen sind in einer Lebensphase, in der man gerne ausgeht, sich mit anderen trifft – in Restaurants, in Kneipen, in Clubs. Fällt das weg, ist das eine enorme Umstellung und Einschränkung. Vor allem vor dem Hintergrund, dass viele Jüngere auch Singles sind und allein wohnen. Dann kann Einsamkeit ein erhebliches Thema sein. 

Noch ist es zu früh zu sagen, wie sich die Pandemie auf die psychische Gesundheit auswirken wird. Welche Entwicklung erwarten sie?

Viele Menschen sind aktuell stark von Existenzängsten betroffen. Das kann im schlimmsten Fall lange anhalten, sich längerfristig manifestieren und dann auch über die Pandemie hinaus andauern. Wer in der Pandemie Schulden angehäuft hat, behält diese zudem ja auch dann, wenn die Menschen geimpft sind. Es gibt aber auch positive Erfahrungen. Wir verwenden digitale Formate, vernetzten uns stärker mit Personen, die an einem ganz anderen Ort sind. Viele schaffen es jetzt, auch mal eine ruhige Kugel zu schieben. Und vielleicht behält der eine oder andere das auch nach der Pandemie für sich bei, weil er merkt, dass es ihm eigentlich ganz gut tut.

 

Foto: Christian Denkhaus

Berlin punktet mit unheimlich vielen klugen Köpfen. Das ist ein spannendes Umfeld.

Dr. Felix M. Key ist Leiter des „Key Lab“ am Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie. In seiner Forschung beschäftigt er sich aktuell mit der Entwicklung und Anwendung von Methoden zur Integration von populations-genomischen Datensätzen. Es geht ihm darum, die Evolution von bakteriellen Krankheitserregern auf einer historischen (alte DNA) und schnellen (innerhalb einer Person) Zeitskala zu verstehen.

Herr Dr. Key, Sie sind kein Coronavirus-Spezialist, forschen aber allgemein zu Pathogenen. Nun wird gesagt, dass das Coronavirus vermutlich von Fledermäusen auf den Menschen übertragen wurde. Das ist Evolution in Aktion, korrekt?

Ja, das ist ein Beispiel für die sogenannte Zoonose, also einer vom Tier auf den Menschen übergesprungenen Krankheit. Ich arbeite mit meiner Arbeitsgruppe vor allem daran, Jahrtausende alte Zoonosen zu rekonstruieren. Zoonosen begleiten den Menschen schon sehr lange. Auch in der jüngeren Geschichte ist Sars-Cov2 im Grunde nichts Besonderes, das passiert regelmäßig. Extrem ist allerdings das Ausmaß, in dem wir das jetzt erleben. 

Wir sehen gerade, dass sich das Coronavirus mit neuen, gefährlicheren Varianten zeigt. Was führt Viren und andere Erreger zu solchen Mutationen?

Ganz nüchtern betrachtet, sind Mutationen einfach Ablesefehler. Wenn der Bauplan der Viren repliziert wird, entstehen schnell mal Fehler. Stellen Sie sich vor, Sie müssten ein Buch abschreiben, da wird der eine oder andere Buchstabe dann auch verdreht. Mutationen entstehen daher zufällig. Die meisten Mutationen haben keine Veränderung auf die Biologie des Virus oder anderer Pathogene. Es kann sein, dass die Mutation sich auch negativ auswirkt. Dann verschwindet sie aber wieder von allein. Ab und zu kommt es aber auch vor, dass sich durch eine Mutation ein evolutionärer Vorteil für das Pathogen ergibt. Dann bekommen diese Mutationen die Überhand. 

Warum gibt es Bakterien, die uns helfen und andere, die uns krankmachen?

Das liegt an Veränderungen im Bauplan. Diese erlauben den krankmachenden Pathogenen, dort zu siedeln, wo sie eigentlich nicht hingehören oder Toxine zu produzieren, die uns schädigen. Letztlich liegt der Grund dafür also in der großen Variabilität der Mikrobenwelt. 

Wie sollten wir mit der Gefahr umgehen, die von Pathogenen ausgeht? Müssen wir uns fürchten vor Zoonosen? 

Zoonosen sind zweifellos ein großes Risiko. Durch unsere Co-Evolution mit Pathogenen haben wir allerdings ein sehr effizientes Immunsystem entwickelt, das uns in vielerlei Hinsicht schützt. Etwa vor den Keimen, denen wir tagtäglich ausgesetzt sind. Das funktioniert gut. Wir müssen uns aber auch darüber bewusst sein, dass wir uns mit unserem Verhalten einem Risiko aussetzen. Es können neue Krankheitserreger entstehen oder vom Tier auf den Menschen überspringen und epidemische Ausmaße erreichen. Beispielweise durch unsere Fleischindustrie und die Tierhaltung. Ein weiteres Risiko besteht darin, dass die Menschen heute sehr viel verreisen. Das sind aber Risiken, die wie akzeptieren. 

Die Pandemie ist ein kollektives Ereignis. Wird dieses das gesellschaftliche Klima auf Dauer verändern?

Ich vermute, dass wir in fünf Jahren durchaus noch an Corona denken. Das Virus wird dann noch präsent sein. Aber es  wird nicht mehr diese pandemische Wirkung haben wie derzeit. Es wird sich ein Alltag eingerichtet haben mit einer gewissen Durchseuchung, Corona wird allerdings für einen Gutteil der Bevölkerung eine ernstzunehmende Krankheit bleiben. Wir werden geimpft werden müssen. Und es werden neue Varianten entstehen, die der gegebenen Immunität entkommen können. Corona wird uns begleiten, ähnlich wie uns bisher die Grippe begleitet hat. Ich denke, darauf wird es hinlaufen. 

 

Die einzelnen Folgen des Podcasts – am 6. jedes Monats online