• Brain City Boschafterin Anna Raysyan auf der Treppe des BAM

    Gastbeitrag: „Berlin mag die Mutigen!“

Brain City-Botschafterin Anna Raysyan  lebt seit 3,5 Jahren in Berlin. Sie ist Doktorandin an der Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung (BAM). Als Gastautorin teilt sie mit uns ihre Erfahrungen als Neuankömmling in der Brain City Berlin. 

Mein Arbeitsgebiet sind immunanalytische Methoden zur Kontrolle von toxischen Verbindungen in der Umwelt und im Bereich der menschlichen Gesundheit. Während meiner Ausbildung am Lehrstuhl für Pharmazie an der Sechenov Universität, der größten medizinischen Hochschule Russlands, haben mich insbesondere die Schönheit der Wissenschaft und der Einfluss der wissenschaftlichen Forschung auf unser Leben inspiriert. Ich habe immer daran geglaubt, dass man das Reisen und sein Wissen mit anderen teilen muss, um mehr zu lernen. Die Biografie von Albert Einstein ist ein gutes Beispiel dafür. 

Während meiner Ausbildung in Moskau erhielt ich die Chance, ein Praktikum an der Universität Gent in Belgien zu absolvieren. Ich bewarb mich, ohne zu zögern, und bekam die Stelle. An der Universität Gent hatte ich eine wundervolle Zeit. Ich war von Studenten aus der ganzen Welt umgeben. Über das  Praktikum fand ich neue Freunde und verbesserte meine Sprachkenntnisse. Nach Moskau kehrt ich voller warmer Erinnerungen zurück sowie mit Forschungsergebnissen, die in meine Dissertation einflossen und die ich später auch in meinem ersten Artikel veröffentlichte. 

In meinem letzten Jahr an der Universität war ich mir ziemlich sicher, dass ich meine Ausbildung fortsetzen wollte. Aber wo? Ich stellte mir eine Menge Fragen: Wo kann ich mich schnell integrieren? Welche Stadt wird mich so akzeptieren, wie ich bin? Wo werde ich mich als Frau gleichberechtigt fühlen? Wo werde ich mich frei fühlen? Wo werde ich von Menschen aus der ganzen Welt umgeben sein? Welche Stadt ist bezahlbar? Wo werde ich mich ebenso wohlfühlen wie in Moskau? Wo werde ich jedes innerstädtische Ziel mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichen können? Von wo aus kann ich leicht überallhin reisen? Wo kann ich die westeuropäische und die osteuropäische Kultur gleichzeitig spüren? Welche Stadt hat ein dichtes und vielfältiges Angebot an Wissenschafts- und Forschungseinrichtungen? Und so weiter. Die Antwort lautete: Berlin! 

In Berlin fühle ich mich frei und kann meine Visionen teilen

Im nächsten Schritt reiste ich nach Berlin. Ich wollte herausfinden, ob es meine Stadt ist oder nicht. Fast augenblicklich verliebte ich mich in die besondere Atmosphäre Berlins. Hier kann jede*r sein, wie sie oder er ist. Niemand wird über einen urteilen. Anschließend begann ich im Internet nach einer passenden Doktorandenstelle für mich zu suchen. Ich fragte auch meine Freunde und Projekt-Betreuer. Als ich fast aufgegeben hatte, stolperte ich über einen wissenschaftlichen Artikel zum Thema Immunoassays. Verfasst hatte ihn Dr. rer. nat. habil Rudolf J. Schneider von der Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung (BAM) in Berlin. Ich war neugierig, warum die Bundesanstalt für Materialprüfung mit Immunoassays arbeitet und fragte meinen Professor an der Moskauer Universität, ob er mehr darüber wisse. Er bestätigte mir, dass es an der BAM eine Gruppe gibt, die sich mit immunanalytischen Methoden beschäftigt. Sofort bewarb ich mich für die offene Stelle und wurde prompt zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen. 

Und wie ging es weiter? Meine Kollegen und die freundliche Arbeitsatmosphäre haben es mir leicht gemacht, mich in den Arbeitsprozess am BAM zu integrieren. Das ging schneller, als erwartet. Meinem Doktorvater bin ich sehr dankbar für die wissenschaftliche Freiheit, die er mir gegeben hat. Ich konnte neue Ideen frei in das Projekt einbringen und meine Visionen teilen. Nie wurde ich vorschnell abgeurteilt oder gar Druck ausgesetzt. Diese wissenschaftliche Freiheit ermöglichte es mir, eine einfach anzuwendende und schnelle Methode zur Bestimmung des endokrinen Disruptors Bisphenol A in Kunststoff zu entwickeln. Mit der gleichen Methode habe ich dann Medikamente in menschlicher Muttermilch bestimmen können. Außerdem erhielt ich die Gelegenheit, die Ergebnisse unserer Studien auf verschiedenen Konferenzen vorzustellen. 

Als Frau lasse ich mich immer wieder von meinen Kolleginnen inspirieren, die sehr erfolgreich auf fast allen Gebieten des BAM sind und damit das Klischee entkräften, dass innovative Forschung hauptsächlich männlichen Wissenschaftlern vorbehalten ist. Ich glaube fest daran, dass in der Wissenschaft alle gleich sind.

Traut euch, zu sprechen! Die Menschen in Berlin sind freundlich

Was das Leben in Berlin betrifft, muss ich sagen: Ich habe mich hier nie unwohl gefühlt. Aber eine Großstadt wie Berlin hat natürlich auch Nachteile, mit denen man zu kämpfen hat. Einer davon ist, dass es sehr schwer ist, hier eine Wohnung zu finden. Außerdem fragen die Behörden nach Dokumenten, von denen ihr vermutlich noch nie etwas gehört habt. Zum Beispiel nach der „SCHUFA-Auskunft“, die für die Wohnungssuche in Deutschland benötigt wird. Zum Glück fand ich bald ein Zimmer im Studentendorf Adlershof und kurz drauf sogar eine eigene Wohnung.

Als eher schüchterner Mensch habe ich anfangs nur ungern Deutsch gesprochen, weil meine Deutschkenntnisse  nicht sehr gut waren. Ein großer Fehler! Sprecht einfach drauflos! Falsch oder richtig, die Menschen in Berlin sind sehr freundlich und helfen euch weiter. Ich erinnere mich, wie ich mich nach nur wenigen Wochen in Berlin in einem S-Bahnhof verlaufen hatte. Es war ziemlich spät und der Bahnhof war leer. Lediglich ein älteres Ehepaar stand noch auf dem Bahnsteig. Mein Zug war gestrichen worden, und ich wusste nicht, wie ich zum Busbahnhof kommen sollte. Ich ging zu dem Mann und versuchte, ihm auf Englisch zu erklären, was ich suchte. Er verstand mich nicht. Ich wechselte ins Deutsche. Der alte Mann sagte etwas, das ich wiederum nicht verstand. Aber dann nahm er einfach meine Hand und führte mich zum Busbahnhof. Es war erstaunlich. Er ermutigte mich, nicht schüchtern zu sein und so viel wie möglich zu sprechen. Er selbst hatte kein Englisch gelernt. Diese Episode bestätigt die Worte aus einem meiner Lieblingssongs, „Auslaender“ von der Band Rammstein: “Andere Länder, andere Zungen. So hab' ich mich schon früh gezwungen. Dem Missverständnis zum Verdruss, dass man Sprachen lernen muss.“

Rückblickend kann ich sagen: Alle Anfangsprobleme werden verschwinden, sobald man anfängt, die Stadt zu erspüren. Berlin wird euch Museen, historische Orte, Restaurants, Bibliotheken und vieles mehr bieten. Auch neue Freunde aus der ganzen Welt! In Berlin werdet ihr außerdem Gelegenheit haben, an vielen großen Konferenzen teilzunehmen.

Das Glück begünstigt immer diejenigen, die mutig sind. Und Berlin mag die Mutigen! (vdo)

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