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Foto: Alexander Rentsch / HTW Berlin
11.01.2022Dr. Sünne Andresen, Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin
Ihr Arbeitsschwerpunkt ist die hochschulbezogene Gleichstellungs- und Antidiskriminierungsarbeit: Als Frauenbeauftragte der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin (HTW Berlin) bringt Dr. Sünne Andresen – neben viel Engagement – fundierte wissenschaftliche Expertise in ihre Tätigkeit ein. Denn vor ihrer Zeit an der HTW Berlin forschte und publizierte die Brain City-Botschafterin zu Geschlechterverhältnissen, Arbeit und Organisationswandel.
„Mich interessieren besonders die strukturellen Ursachen von Ungleichheit, da ich der festen Überzeugung bin, dass individuelles Verhalten immer gesellschaftlich geprägt ist“, erläutert Dr. Sünne Andresen. „Nehmen wir die Frage der immer noch bestehenden Unterrepräsentanz von Frauen in Leitungspositionen auch an den Berliner Hochschulen: Den Frauenanteil an den Professuren deutlich zu erhöhen, ist ein Ziel fast aller Hochschulen der Stadt.“ Als Beispiel nennt die Brain City-Botschafterin die Ingenieurswissenschaften, in denen nach wie vor nur wenige Frauen auf Professuren berufen werden. „Obwohl sie so wichtig für viele gesellschaftliche Entwicklungen wären – denken wir nur an die Digitalisierung – und wir wissen ja, dass verschiedene Perspektiven zu besseren Lösungen führen.“
Um diese Situation nachhaltig zu verändern, sei es wichtig, bereits bei Schülerinnen anzusetzen, betont Sünne Andresen. „Gleichzeitig müssen wir strukturelle Barrieren wie etwa geschlechtsstereotype Berufsbilder verändern, die sich trotz gesellschaftlicher Fortschritte weiterhin hartnäckig halten. Eine Folge solcher Stereotype ist es, dass wir für die ingenieurwissenschaftlichen Studiengänge immer noch deutlich weniger Bewerbungen von Frauen erhalten als von Männern. Und das wirkt sich natürlich auch darauf aus, wie viele Kandidatinnen später überhaupt für Professuren zur Verfügung stehen.“
Bemerkenswert findet Sünne Andresen, dass in Ländern wie der Türkei oder Marokko die assoziative Verbindung von Technik mit Männlichkeit offenbar nicht so stark ausgeprägt ist wie in Deutschland. „Das zeigt sich auch bei den jüngeren Wissenschaftlerinnen an der HTW Berlin, die erfreulich international sind.“ Daran knüpfe sich zugleich eine weitere Herausforderung ihrer gleichstellungspolitischen Arbeit: „Es wird immer wichtiger, verschiedene Diskriminierungsformen in ihrem Zusammenspiel zu berücksichtigen – wir sprechen hier von einer intersektionalen Perspektive –, denn an den Hochschulen ist neben dem Geschlecht zum Beispiel auch die Frage der sozialen Herkunft oder der Migrationsgeschichte eine relevante Kategorie für die Frage des individuellen Weiterkommens. Diese Zusammenhänge müssen wir mitdenken.“
Berlin hat eine für Deutschland einzigartige Vielfalt an Forschungs- und Wissenschaftseinrichtungen – und damit an Menschen, mit denen innovative Projekte und Ideen umgesetzt werden können.
Für das Thema Geschlecht und Wissenschaft begann Sünne Andresen sich bereits während des Soziologie- und Geschichtsstudiums an der Universität Hamburg zu interessieren. „Gleich zu Beginn habe ich gemeinsam mit frauenbewegten Kommilitoninnen eine Frauengruppe gegründet, weil wir uns in unserem Studium auch mit ‚Frauenbefreiungsthemen’ – heute würde man sagen ‚Geschlechterforschung’ – beschäftigen wollten. Ende der 1970er-Jahre gab es dazu gar nichts.“ Nach Stationen als wissenschaftliche Mitarbeiterin in einem Drittmittelprojekt am Wissenschaftszentrum Berlin (WZB) und als Lehrbeauftragte an der Freien Universität Berlin erhielt sie eine Promotionsstelle als Wissenschaftliche Mitarbeiterin am damaligen Otto-Suhr-Institut (OSI) der FU Berlin mit dem Themenschwerpunkt „Economics of Gender“. „Das war ein sehr wichtiger Schritt, denn zeitgleich mit mir waren mehrere Kolleginnen mit einer Genderdenomination als Wissenschaftliche Mitarbeiterinnen eingestellt worden. Wir haben uns schnell in einer Dozentinnengruppe vernetzt, um gemeinsam hochschulpolitische Interessen zu vertreten, aber auch Forschungsaktivitäten zu planen.“ Die Arbeit als Referentin für die damalige Frauenbeauftragte an der FU Berlin bedeutete für Sünne Andresen den Einstieg in die hochschulbezogene Frauenförderung und Gleichstellungspolitik. 2011 wechselte sie schließlich als Frauenbeauftragte an die HTW Berlin. „An meiner Hochschule ist das Thema Antidiskriminierung und speziell der Schutz vor sexualisierter Diskriminierung und Gewalt im Moment ein Schwerpunkt. Wir erarbeiten hierzu ein Konzept, das mehr Verfahrenssicherheit und Transparenz gewährleisten soll. Die gerechte Bezahlung von Beschäftigten und der Abbau von Entgeltungleichheit nach Geschlecht habe ich eben schon angeschnitten. Ein weiteres aktuelles Thema an der HTW ist die Flexibilisierung von Arbeitszeit und Arbeitsort.“
Ein großer Vorteil für die Frauenbeauftragten an den Hochschulen Brain City Berlin ist: Sie sind hauptberuflich tätig. „So können wir tatsächlich einiges bewegen. Das Berliner Hochschulgesetz und das Landesgleichstellungsgesetz setzen gute Rahmenbedingungen für die Gleichstellungsarbeit. Dies ist längst nicht in allen Bundesländern der Fall“. Der Satz „Berlin, Stadt der Frauen“ ist nach Ansicht von Sünne Andresen daher durchaus treffend. „Berlin ist eine lebendige und offene Stadt, in der Frauen die gleichen Rechte haben und als Politikerinnen oder in anderen verantwortungsvollen Positionen vertreten und sichtbar sind.“
Eine solide Basis für Netzwerke – wie etwa die „Berliner Dialogstrategie“, die sich für eine geschlechtergerechte und diskriminierungsfreie Berliner Hochschullandschaft einsetzt. „Nur, wenn viele Menschen immer wieder an einem Strang ziehen, kommt es zu Erfolgen in der Gleichstellungsarbeit“, resümiert Sünne Andresen. „Berlins Stärke ist die Vielfalt. Das gilt auch für die Wissenschaft und die Hochschulen. Ich bin der festen Überzeugung, dass wissenschaftliche Lösungen und Erkenntnisse umso besser werden, je verschiedener die Menschen sind, die daran mitarbeiten.“ Ihre Wunschvorstellung: dass sich in den Hochschulen Berlins irgendwann die Buntheit der Stadtgesellschaft widerspiegelt. (vdo)
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